Die Sehnsucht ist größer
dem einiges schiefläuft. Für heute abend war die letzte Telefonabsprache mit Christiane vereinbart. Das wäre natürlich von Sahagún aus überhaupt kein Problem gewesen. Hier finde ich erst nach langem Suchen die öffentliche Telefonzelle - und sie funktioniert nicht. Und es ist die einzige Telefonzelle im Umkreis von 5 km - und ich kann mich eben nicht einfach ins Auto setzen und woanders hinfahren. So ein Mist aber auch. Wir müssen klären, wann wir uns wo treffen -schließlich muß Christiane noch ihre Zugfahrkarte kaufen -und was sie noch von Deutschland mitbringen soll. Und dann funktioniert das Telefon nicht... - es hilft alles nichts, ich bin schlicht und ergreifend zum Nichts-Tun verdammt. Und in Würzburg sitzt Christiane und wartet auf meinen Anruf...
Also - Abendessen. Es ist ein bißchen improvisiert. Ich sitze auf der Regenjacke im Gras vor dem Refugio, hier gibt es noch nicht mal Stühle. Mit dem Taschenmesser, das mir Albin auf die Pilgerfahrt mitgegeben hat, schneide ich Brot und Wurst, heute abend bewährt es sich wirklich. Eine Dose Thunfisch, der Rotwein - es ist ein kleines Fest. Ich weiß zwar überhaupt nicht, was ich feiere, aber ich erlebe diesen Abend als Fest, ganz mit mir allein.
Ich freu mich am Leben - und scheine ein bißchen anstiftend zu sein. Zu mir gesellt sich ein hübsche Jagdhündin, die ihre Lust am Leben mit dem Schinken verbindet, der vor mir im Gras liegt. Ich werde schwach - aber es macht mir auch Spaß, ein bißchen schwach zu werden. Die Hündin ist sehr vornehm und zurückhaltend, aber dann nimmt sie doch die Scheibe Schinken sehr behutsam aus der Hand. In einem unbewachten Moment klaut sie die Abfalltüte und verstreut ihren Inhalt auf dem Kinderspielplatz. Ich schimpfe ein bißchen - aber ich bin selbst schuld. Auch ein Hund ist nur ein Hund. Es war mein Fehler, ich kann nicht einen Hund mit einer gutriechenden Abfalltüte allein lassen.
Hier ziehen die Herden am Abend vorbei, das ist ein schönes Bild. Vorhin eine Herde Kühe, dann die Schafe - eine Herde von rechts nach links, die andere von links nach rechts.
Freitag, 13.6.
El Burgo Ranero, 16.15 Uhr
Der belgische Reiter hat mir gestern abend noch sein Funktelefon zur Verfügung gestellt, so daß ich um 22.30 Uhr Christiane wenigstens benachrichtigen und einen neuen Telefontermin ausmachen konnte. Ich find das schon irgendwie verrückt - von einem kleinen Ort in Nordspanien per Funktelefon mit Würzburg zu telefonieren...
Heute morgen habe ich mich von den beiden Reitern verabschiedet - ich bin gespannt, ob ich sie nochmal treffen werde. Ich freue mich, daß nur eine halbe Wegetappe vor mir liegt -und nachdem ich nun schon mal in Calzada bin, habe ich mich entschieden, die alte Römerstraße zu nehmen, die von hier aus parallel zur neu angelegten Pilgertrasse verläuft.
Am Ortsausgang gabelt sich die Straße, obwohl im Führer steht, es gehe immer geradeaus. Markierungen sind keine zu sehen - so orientiere ich mich nach links.
Es ging sich schwer diesen Morgen - ich weiß auch nicht warum. Aber ich mußte um jeden Schritt kämpfen - um nach ca. drei Kilometern vor einem Maschendrahtzaun zu stehen, der den Weg kreuzt. Mitten im Weg ein Zaun - ich faß es nicht. Hinter dem Zaun befindet sich die Großbaustelle der neuen nordspanischen Autobahn - selbst, wenn ich irgendwie über den Zaun rüberkäme, stünde ich mitten in der Baustelle, zwischen Lastwagen und Planierraupen...
Nein, denke ich, es darf ja wohl nicht wahr sein - gerade an diesem Morgen, wo mir jeder Schritt so unsagbar schwer fiel, ich froh war, nur eine kleine Etappe von 13,5 km vor mir zu haben - und jetzt das. Ich laß einen mittleren Fluch los - nach dem gestrigen Tag tun mir die Füße, die Knie weh -, und ich bin müde. Und jetzt habe ich mich schon drei Kilometer durchgekämpft, nur um festzustellen, daß ich mich verlaufen habe.
Aber es hilft alles nichts, ich muß zurück. Und ich habe auch keine Lust mehr auf weitere Experimente, ich bin physisch und psychisch am Ende. Vor gut zwei Kilometern habe ich eine Brücke gesehen, die über die Autobahn führt, und auf der anderen Seite in die Pilgertrasse mündet. Also gut, seufzend kehre ich um - und gehe das erstemal in diesen Tagen nach Osten.
In der Ferne sehe ich die beiden Reitersleute mit ihren Pferden über die Eisenbahnbrücke gehen, die im Führer auch angekündigt war - wenigstens sie haben sich an der Weggabelung richtig entschieden.
Direkt nach der
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