Die Sehnsucht ist größer
miteinander? Und die ebenso behutsame Antwort: »Wir können ja ein Stück zusammengehen...«
Wir sind die letzten, die das Refugio verlassen - und schwenken auf die altvertraute Pilgertrasse ein, die treu und brav, alle 10 Meter von einer Platane, jeden Kilometer von einer Bank verziert, immer noch neben einem hervorragenden Feldweg herläuft, der bedeutend angenehmer zu gehen ist.
Nach einer Stunde machen wir Rast in einem halbverfallenen Haus an der Trasse - und bleiben eine Stunde dort, verzaubert von der Weite der Landschaft und des Himmels, den Wolken, der Sonne, den Blumen, dem Gesang der Vögel - und der Freude an der Nähe aneinander - es ist eine wunderschöne Stunde, und als wir schließlich aufbrechen, spüre ich nur: Ich bin voll mit Liebe.
Die 13,5 Kilometer bis Reliegos ziehen sich etwas, zumal die Sonne zunehmend wärmer wird, aber es waren intensive Stunden, in denen wir beide viel Persönliches erzählten, um dann wieder ins Schweigen zu kommen, um miteinander zu lachen -oder sich für einen kurzen Moment anzuschauen. Es war ein guter Tag für mich - und es war wohl ein ganz wichtiger Tag...
Sonntag, 15.6.
León, 19.30 Uhr
Eigentlich bräuchte grad jeder Tag zwei Stunden Schreibzeit - und wenn man zu zweit unterwegs ist, hat man die einfach nicht. Das Unterwegs-Sein mit Martin mag ich trotzdem überhaupt nicht missen. Es mag sich verrückt anhören, aber die Strecke nach León hinein, die von vielen als fürchterlich beschrieben wird, wo sogar der kleine Wanderführer empfiehlt, den Bus zu nehmen, war für mich eine der intensivsten Strecken der vergangenen drei Wochen - und das hing mit unseren Gesprächen zusammen. Nachdem Martin und ich die erste Stunde noch eher schweigend nebeneinanderhergingen, war die zweite Stunde dann schon interessanter und dichter, und als wir schließlich auf der Nationalstraße waren, mitten im brausenden Verkehr auf der vierspurigen Schnellstraße, waren wir in einem so intensiven Gespräch über Gott und die Welt, daß mir die 18 km grad mal wie 8 km vorkamen.
Hier in León haben Martin und ich uns für das Hotel entschieden - und ich bin froh darum. Zum einen tut es gut, mal wieder seine Ruhe zu haben - zum anderen ist das Refugio überkatholisch und bürokratisch-dogmatisch, leider eine ja durchaus nicht seltene Kombination. Wir wollen uns dort nur den Stempel holen, eigentlich kein besonders bemerkenswerter Vorgang - wir sind uns beide einig, daß uns das Verfahren ein wenig an die Kontrollpunkte bei deutschen Volksläufen erinnert. Uns selbst waren die Stempel nicht mehr so arg wichtig. Sie dienen halt als Nachweis dafür, daß man in den Orten war, bekam man einen, war’s gut, war er schön, umso besser - und wenn nicht, ist es auch recht. So gehen wir zu dem Kloster, in dem in diesem Sommer das Refugio untergebracht ist. Die Schwester, die uns öffnete, führte zuerst die beiden Pilger, die mit uns angekommen waren, zu ihrem Quartier. Das bestand darin, daß die beiden sich irgendwo eine Schaumstoffmatratze holten und auf den Flur legten. In dem Moment schien mir das Geld für das Hotel ganz gut angelegt. Die Schwester nahm unsere Pilgerausweise, wir erklärten noch, daß wir zwei Tage hier bleiben würden und deshalb im Hotel wären, dann bat sie uns um unsere Pässe. Die befanden sich an der Rezeption des Hotels, damit konnten wir also leider nicht dienen. Die bräuchte sie aber. Wir schauten sie fragend an. Ja, es sei sonst mit dem Stempel schwierig. Martin erklärte nochmal geduldig auf spanisch, daß unsere Namen und alle sonstigen wichtigen Daten im Pilgerausweis drinstünden - und wir wirklich nur einen Stempel wollten. Naja, sie wolle mal sehen, es sei halt wegen der Statistik. Unser Alter wollte sie wissen, dann verschwand sie hinter einer großen, dunklen, wichtig aussehenden Tür. Es verging eine gewisse Zeit, dann öffnete sich in dieser Tür eine kleine Luke: Ob wir mit dem Fahrrad unterwegs wären? Nein, zu Fuß, gab Martin zurück. Meines Wissens waren das zwar alles Informationen, die in diesem Pilgerausweis drinstehen, aber nun gut. Es verging wieder eine geraume Zeit, dann öffnete sich die obere Hälfte der Tür (es war wirklich eine wichtige Tür!), und die Schwester gab uns die Pilgerausweise zurück, mit Stempel - und wahrscheinlich hat ihre ordentliche Statistik jetzt an dem Tag eine Lücke...
Von Doris und David, die wir später in der Kathedrale treffen und die im Refugio übernachten, erfahren wir dann noch,
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