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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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faszinierende Aussicht, um dann wieder im Wolkenmeer zu versinken. Mir hat diese Gewalt der Natur gut getan, ich habe mich gern hineingestellt, mich dagegengestemmt, habe mich gespürt und das Leben. Bei schönem Wetter wäre es eine nette Strecke gewesen, so war es eindrucksvoll.
     
    Ponferrada, 20.10 Uhr
    Es war ein schöner Tag, aber auch ein Tag, der in die Beine ging. 1000 Meter Abstieg - heute abend spüre ich meine Beine. Und ich bin auch müde, weil ich Christiane über weite Strecken ein bißchen ziehen mußte.
    Heute nachmittag schloß sich uns der Hund an, der zuvor dem französischen Pilger zugelaufen war. Er begleitete uns treu und brav über zwei Kilometer - und es bedurfte einiger heftiger Interventionen, um ihn davon zu überzeugen, daß wir ihn nicht in die Stadt und nicht ins Hotel mitnehmen wollten.
    Kilometermäßig liegen wir gut im Schnitt - noch zehn Tagesetappen liegen vor uns, wenn alles gut läuft. Und ein Tag Luft ist grad drin. Den wollen wir uns aufheben für chaotisches Wetter oder Krisentag. Im Moment spielt das Wetter optimal mit - auch wenn es heute abend nach Regen aussieht. Mal sehen... - das habe ich inzwischen gelernt: Erst dann entscheiden, wenn die Entscheidung wirklich angesagt ist. Und nicht zuviel Kraft auf all die wenn und aber zu vergeuden...
    Heute abend haben Christiane und ich uns notgedrungen getrennt. Im Hotel haben wir in einer Blitzaktion Großwäsche gemacht, unsere Klamotten sind jetzt dort irgendwo im Trockner - und an die müssen wir wieder rankommen. So muß eine von uns die Stellung im Hotelzimmer halten. Ich habe für eine Stunde frei und die Schlüssel bekommen - und wenn ich zurückkomme, wird sich Christiane nochmal auf den Weg machen. Das gibt dann noch eine ruhige halbe Stunde im Bett für mich mit vino tinto und dem Buch von Jean Vanier.
    Es tut gut, zu zweit unterwegs zu sein, aber es nimmt schreibmäßig vieles weg, weil es ja schon gesagt ist. Und auch spirituell haben diese Tage nicht mehr die Intensität wie noch vor kurzem. Aber irgendwie hab ich auch das Gefühl, es ist gut so. Es ging tief, wahnsinnig tief - aber ich kann auch nicht dauernd in dieser Tiefe leben. Ich habe viel Kraft daraus geschöpft... - aber ich muß aus dieser Tiefe auch wieder hervorkommen.
    Ich sitze hier, so verrückt es sich anhören mag, in einer Bar und trinke irisches Bier vom Faß, höre irische Musik. Beides paßt zu der Landschaft, durch die wir heute gewandert sind -und zu dem Wetter, das wir heute erlebt haben.
    Der Kontrast ist schon groß - von der Einsamkeit der Bergwelt in die Stadt, von Tomas zum Hotel. Ich gebe zu, die erste warme Dusche seit sechs Tagen hat unverschämt gut getan. Und der Gedanke daran, daß morgen wenigstens die Wanderklamotten mal wieder halbwegs sauber sind, tut auch gut. Heute habe ich dauernd das Gefühl gehabt, ein bißchen vor mich hin zu stinken.
    Draußen regnet es. Ich geh jetzt Christiane ablösen.
    Der Wind brennt noch auf der Haut...
     
     

Sonntag, 22.6.
     
     
    Villafranca, 20.15 Uhr
    Es ist nicht zu glauben - da läuft man 350 km - und plötzlich hat man einen ausgewachsenen Muskelkater. Die 1000 Meter Abstieg gestern haben sich doch deutlich bemerkbar gemacht. Interessanterweise habe ich den Muskelkater nicht nur in den Oberschenkeln, sondern sogar auch in den Pobacken - weiß der Geier, was ich damit angestellt habe. Wenn man mal im Laufen drin ist, geht’s - aber bis dahin humpelt man doch etwas durch die Gegend.
    Das Hotel letzte Nacht hat gut getan - viel Platz, warmes Wasser, ein gutes Bett. Als ich um halb sieben das erstemal aufwachte, habe ich den Wecker von sieben auf acht gestellt. Es ist Sonntag - noch eine Stunde Schlaf wird gut tun, und halb acht reicht auch für Sonntag. Endlich mal wieder den Rucksack ganz neu packen, in Ruhe frühstücken...
    Wieder einmal zieh ich an einem Sonntag mit sauberen Klamotten los - letzten Samstag konnten wir die Sachen in die Waschmaschine in Mansilla werfen, gestern haben die dienstbaren Geister hier wohl Mitleid mit uns gehabt: Sie haben unsere in der Dusche und im Waschbecken mühsam gewaschene Wäsche nicht einfach nur in den Trockner getan, sondern gleich nochmal in die Waschmaschine. Deshalb hat es auch so lange gedauert. Das Trinkgeld geben wir gerne, sind eher unschlüssig, ob es zu wenig ist.
    Die frischgewaschene Wäsche gibt ein richtiges Sonntagsgefühl...
    Aus Ponferrada wurden wir heute morgen ausgesprochen freundlich hinausgelotst: Sobald wir unschlüssig

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