Die Sehnsucht ist größer
daran interessiert, uns die Kräfte für den Cebreiro aufzusparen.
So waren sechs Kilometer Nationalstraße angesagt, auf der die Lastwagen an uns vorbeidonnern. Wir waren »Aug in Aug« mit all den Lastwagenfahrern - und im ständigen Stoßgebet, daß sie bitte richtig lenken mögen. Einige haben sehr nett gegrüßt, das hat ein bißchen Mut gemacht und angespornt. Ab Mittag hat uns dann die Hitze erwischt - es ist gut, daß wir den Cebreiro morgen früh vor uns haben.
Ich bin froh, daß wir den Sprung vom Hotel ins Refugio wieder geschafft haben. Die Versuchung ist groß, das Angenehmere zu wählen, es sich leicht zu machen. Aber damit ginge auch etwas von dem verloren, was den camino ausmacht - sich einlassen auf einen anderen Lebensstil.
Das Refugio hier ist ganz okay, zwar einfach, ohne Aufenthaltsraum, ohne Küche - aber noch sind wir wenige im unteren Schlafraum - die beiden Fahrradfahrer, die ziemlich nach Schnarchen aussehen, wurden von der Betreuerin oben einquartiert.
Man wird dankbar für soviel, bewußte oder unbewußte, Menschenkenntnis.
Wir sind geduscht (warm!), die notwendige Wäsche ist gewaschen und trocknet vor sich hin, das Feierabendbier schmeckt - und heute abend steigt nun endgültig die Thun-fisch-Session, wir haben wirklich keine Lust, die Dosen noch über den Cebreiro mitzuschleppen. In dem kleinen Geschäft hier am Ort kaufen wir noch ein bißchen Brot, Rotwein, Käse -und sitzen gemütlich auf den Gore-Tex-Jacken im Schein der Abendsonne und lassen es uns gutgehen. Am Berg über uns ist die Nationalstraße, - und meine durchgehende Phantasie läßt mich ausmalen, wie es denn wäre, wenn da ein Laster auf uns herunterfallen würde.
Der Muskelkater hat mich heute noch heftig geplagt. Ich bin grad froh, daß es morgen bergauf geht - dann kann sich der Abstiegsmuskelkater vielleicht ein wenig legen.
Als heute nachmittag im Fernsehen schon wieder Fußball übertragen wurde, erinnerte ich mich daran, daß zuhause ja inzwischen alles gelaufen ist, was Fußball angeht. Und Christiane erzählt, daß Bayern München deutscher Meister geworden und Freiburg abgestiegen ist. Mitten in einem kleinen Dorf in Nordspanien holt mich der deutsche Alltag mit seinen scheinbaren Wichtigkeiten wieder ein...
Dienstag, 24.6.
Vega de Valcarce, 8.20 Uhr
Das sind die angenehmen Überraschungen im Pilgeralltag -die Bar hat schon geöffnet! In der Kälte des frühen Morgens tut der Kaffee gut. Im Refugio war es ruhig heute nacht, nur ein bißchen »schnärcheln«, aber man konnte gut schlafen.
Gegen drei Uhr war ich mal wach und habe draußen eine Zigarette geraucht. Der Mond stand klar am Himmel, die Burg am gegenüberliegenden Berghang war angestrahlt - es war eine ruhige, schöne Nacht, in der ich mir fast das Ankommen nicht mehr vorstellen konnte.
In der Laudes der Satz: Wer aufrechten Wegen geht, der darf mir dienen (Ps 101) - ob ich auf dem rechten Weg bin?
Alto do Poio, 19.30 Uhr
Das war ein schöner, aber auch anstrengender Tag - 20 km incl. Cebreiro mit seinen wohl 1000 Höhenmetern. Heute abend haben wir uns erfolgreich aus der Pilgerschar ausgeklinkt. Alle anderen übernachten entweder auf dem Cebreiro oder in Triacastela - so sind wir in dem kleinen Höhengasthof als Pilger allein. Das ist schön so - und nach dem Tag tut es mir gut, daß es hier kein Matratzenlager gibt und auch keine größeren Schnarchorgien zu befürchten sind.
Der Aufstieg war für mich ziemlich hart, wir kamen am späten Vormittag in die Hitze hinein, die mir zu schaffen gemacht hat. Aber nun gut - wir haben viele Pausen gemacht - und jetzt sind wir hier. Und nach einer warmen Dusche sieht die Welt auch schon wieder anders aus.
Landschaftlich war es schön - Höhe gewinnen, sich in der Weite verlieren, Horizonte hinter sich lassen, neue Horizonte entdecken. Der Cebreiro gab sich leicht touristenmäßig. Ich bin froh, daß wir noch die 8 km bis Alto do Poio gegangen sind.
Seit der Grenze zu Galizien begleiten uns jetzt die Kilometersteine, die treu und brav jeden halben Kilometer nach Santiago anzeigen. Noch sind es 143 km. Ich erlebe diese Kilometersteine sehr zwiespältig. Sie nerven mich ein bißchen, weil sie mich jeden halben Kilometer daran erinnern, daß es nur noch... km bis nach Santiago sind, daß dieser Weg sich auch seinem Ende zuneigt. Und mir wird schlagartig bewußt, daß ich heute in vierzehn Tagen in Deutschland Supervisionen zu geben habe - und mir ist vollkommen unklar, wie um
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