Die Sehnsucht ist größer
dort nehmen - noch liegen fünf Tagesetappen vor uns - und da kann noch viel passieren.
Mit den Beinen lief heute alles bestens. Ich glaube, daß der physische und der psychische Crash-down wirklich zusammengehängt haben. Mir ging’s gut - und dann läuft es sich auch wieder. Und wenn’s nicht gut läuft, dann darf ich auch liebevoll mit mir selbst sein - auch Triacastela kann eine wichtige Lektion für den Alltag sein.
Bei vino tinto, Käse, Schinken und hervorragendem Brot sitzen wir in der Bar und lassen den Tag ausklingen. Ich denk, es war ein guter Tag...
Sarria, 22.45 Uhr
Gerade find ich bei Jean Vanier noch den wunderschönen Satz: »Denn die Herrlichkeit Gottes ist jeder einzelne Mensch, der wirklich lebt« - und das haben wir heute wirklich getan - gelebt!
Freitag, 27.6.
Portomarín, 21.00 Uhr
Der Weg war wunderschön heute - die alten »Trampelpfade« waren ausgesprochen abwechslungsreich, es gab schöne Aussichten, viele Dörfer, mir ist nicht langweilig geworden.
Mit Portomarin sind wir allerdings mal wieder an einem Knotenpunkt der Pilger angelangt. Angeblich hat das Refugio 100 Liegen - 52 davon bleiben uns verborgen, die restlichen 48 sind voll belegt, die Radfahrer sind schon mit leicht betrippeltem Gesicht weggefahren. Ich ahne, daß es eine Astorga-Nacht geben wird - und tendiere für morgen abend wieder eindeutig zum Hotel. Kalte Duschen mögen nett sein, wenn man erhitzt ist - wenn man durchgefroren ist, ist es nicht die reinste Freude.
Unbegreiflich bleibt mir, was all diese Menschen und uns in solch ein Refugio bringt, wenn es drei Häuser weiter ein gutes Hostal gibt. Am Geld hängt es wohl bei den wenigsten. Was bringt erwachsene Menschen dazu, sich mit zwanzig anderen in einem Schlafsaal einzuquartieren, den anderen auf Armeslänge von einem entfernt?
Hier in Portomarin hat es mir die romanische Kirche angetan. Als der Stausee angelegt wurde, wurde sie Stein für Stein abgetragen und hier oben auf dem Berg wieder aufgebaut. Sie ist gerade in ihrer Schlichtheit schön - und fasziniert hat mich der Lichteinfall. Das scheint mir ein schönes Bild zu sein: Ich sehe die Sonne nicht direkt, aber ich sehe das Licht, das sie wirft.
Der Neuaufbau der Kirche hat seine Konsequenzen gehabt. Schon vorhin, als ich das erstemal in der Kirche war, habe ich mich gewundert: Ach, eine digitale Liedanzeige in grün im Chorraum - und die zeigt noch das Lied 636 an. Die haben sie wohl vergessen auszuschalten. Beim Gottesdienst heute abend zeigte sie auf einmal 801 an - und das, obwohl überhaupt keine Lieder gesungen wurden. Nur langsam konnte ich mir eingestehen, daß man doch tatsächlich eine digitale Uhr mitten in das Sandsteinkreuz im Chorraum dieser so wunderschönen Kirche hineingebaut hat.
Samstag, 28.6.
Palas de Rei, 20.30 Uhr
Ein guter Tag - trotz Dauerregen auf 25 km. Aber wir hatten einen guten Schritt drauf, haben die Nässe gut verkraftet.
Die Nacht im Refugio war ruhig. Ab 7.00 Uhr wurde es nervig, weil zehn Leute gleichzeitig in einem Raum packen wollten, in dem es effektiv keinen Platz gibt. Die anderen zehn haben sich klugerweise entschieden, erstmal im Bett zu bleiben, um noch ein bißchen vor sich hinzudösen - und den schlimmsten Trubel an sich Vorbeigehen zu lassen. Mich macht diese fast schon aggressive Nähe am frühen Morgen ziemlich gereizt - und ich werde sehr schweigsam, such mir ein Plätzchen für mich.
Heute morgen dann dichter Nebel - oder tiefhängende Wolken? Christiane tippt auf schönes Wetter - aber nach einer Stunde holt uns der Regen ein, um dann den ganzen Tag nicht mehr aufzuhören. Das hatte mir wettermäßig wirklich noch gefehlt - ein Tag Dauerregen. Und ich kann mir inzwischen Strecken vorstellen, wo es nicht so einfach gewesen wäre, mit dem Regen fertig zu werden. Wenn überhaupt einen Tag Regen, dann hier auf dieser Etappe.
Palas de Rei, 21.30 Uhr
Das Abendessen hat gut getan - Nudelsuppe und Filet mit Pommes, die ausgesprochen gut schmecken. Nach der Dusche, vino tinto und warmem Essen wird mir langsam auch von innen her warm. Das Wetter heute und der Tag haben Kraft gekostet.
Die Refugios sind mit ihrer Größe und Vollbelegung für mich nicht sehr attraktiv - meine Lust und Bereitschaft schwindet zusehends, mich nach einem solchen Tag wie heute unter eine kalte Dusche zu stellen. Auch hier ist das Refugio voll, und ich bin nur froh, daß wir dieses Hotel entdeckt haben. Und zum erstenmal seit vierzehn
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