Die Sehnsucht ist größer
erweist sich als eines der schwersten Wegstücke). Und wenn alle anderen die Klamotten waschen, duschen wir. Das paßt ganz gut.
Sehr bewußt habe ich mir heute noch einmal die Tagesschriftstellen angeschaut. Und ich fühl mich getröstet und herausgefordert zugleich. Der Lesungstext war Gottes Bund mit Abraham, seine Zusage: Deine Nachkommen werden so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel. Als Evangelium dann die Zumutung: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!
Was werden meine Früchte sein von diesen Wochen? An was werde ich erkannt werden?
Triacastela, 20.30 Uhr
Abendstimmung im Refugio - wir sitzen auf dem Wäschetrockenplatz, um uns herum baumeln gewaschene T-Shirts, Socken, BHs, Unterhosen. Das Abendessen war sehr gut, ich habe gelernt, daß »Redondo« eine Art »Rollbraten« ist, und hervorragend schmeckt. Jetzt trinken wir noch einen Rotwein -und uns gehen Liedfetzen durch den Kopf: »Auf den guten Wind, der uns hergeweht, Freunde, laßt uns trinken!« - oder auch: »Was sollen wir trinken, sieben Tage lang...«
Wir sind müde, obwohl die Wegstrecke nur kurz war, es liegt viel hinter uns. Heute abend feiern wir das Unterwegssein.
Donnerstag, 26.6.
Triacastela, 8.30 Uhr
Es war eine ruhige Refugio-Nacht. Ich schlafe fast jede Nacht acht Stunden und bin morgens doch todmüde. Das zeigt mir, was im Moment alles zu verarbeiten ist.
Nach einem kurzen Gespräch mit dem Hostalero, einem Blick auf das Wetter - bedeckt und feucht - und in den Wanderführer, entscheiden wir uns beim Frühstück in der Bar kurzfristig um: Die alten Pfade mögen nett und interessant sein, aber heute morgen auch ausgesprochen naß. Und ich trau meinem Bein noch nicht so ganz. Ich habe zwar keine Schmerzen mehr -aber ich bin vorsichtig. Also nun doch die Route über Samos, das ist weitestgehend Straße ohne Auf- und Abstiege. Wir setzen eher auf den sicheren als auf den schönen Weg. Ich glaube, die Entscheidung stimmt so.
Sarria, 20.00 Uhr
Auch die scheinbar normalsten Camino-Tage haben ihre Überraschungen - und die werden eindeutig geschenkt. 20 km Straße lagen vor uns heute morgen, der Himmel war grau in grau, aber »go west«!
Um halb zwölf waren wir in Samos... gut, der alte Kreuzgang war schön, auch der Klostergarten - aber die Wandmalereien im 1. Stock fand ich so erschreckend, daß ich nicht wußte, ob ich lachen oder weinen sollte. Der Pater war sehr nett und besorgt um uns. Im ersten Besichtigungsdurchgang war uns doch glatt die Kirche entgangen, was allerdings kein besonders großer Verlust war, wie sich herausstellte, als der Pater uns noch einmal zurückschickte. Schön war dann die Szene im Kreuzgang, als er seinen doch etwas weißlichen Arm gegen meinen gebräunten hielt und etwas von der Farbe des Strandes erzählte. Und es kämen viele Deutsche in das Kloster, und alle Deutschen würden so gut singen und die Akustik in der Kirche sei ja auch hervorragend - und plötzlich summte der Pater leise die Melodie von »Lobet und preiset ihr Völker, den Herrn!«
Als wir beim Mittagessen in der Bar sitzen, regnet es sich allmählich ein. Na gut, so ist es jetzt halt. Sarria bleibt trotzdem angesagt. Zwischendrin Aufregung im Restaurant, ein Auto hat einen Fahrradpilger angefahren, »ambulance« ist notwendig -hoffentlich ist er nicht zu schwer verletzt.
Wir sind gerade dabei, die Rucksäcke regensicher zu verpacken, da kommt Martin zur Tür herein, schaut Christiane an, die ihm wohl irgendwie bekannt vorkommt - und dann nehmen wir uns herzlich in den Arm. Er ist wieder auf dem Weg, die Füße machen mit - und er ist wohl genauso überrascht, uns hier zu treffen, wie umgekehrt. Meine Nachrichten und Grüße hat er bekommen - das System funktioniert auf dem camino - und er ahnte uns einen Tag voraus. Daß wir gestern nur eine halbe Etappe gemacht haben, hat ihn »herangebracht« - und da wir morgens erheblich später losgehen als er, trifft nun unsere Mittagspause heute mit seinem Wanderfeierabend zusammen. Wir freuen uns über das Treffen, Christiane und ich hängen an die Mittagspause noch eine halbe Stunde dran, erzählen und bringen uns gegenseitig auf Stand.
Ich bin froh, Martin wieder auf dem Weg zu wissen - und gut drauf dazu. Und ich erlebe das Treffen als Geschenk. Zwei Minuten später, und wir wären weg gewesen. Trotzdem können wir uns beide gut lassen - wir werden uns spätestens in Santiago sehen und vereinbaren, im Pilgerbüro Nachricht zu hinterlegen.
Bei leichtem
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