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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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wenig tragen und trösten zu lassen.
    Es ist eine eigene Geschichte mit den beiden: Maria ist vor zehn Wochen in Arles losgegangen, hat dann irgendwann irgendwo Pete getroffen - und sie gingen zusammen weiter. Irgendwann fiel ihnen ein, daß sie ja eigentlich den Weg ganz alleine machen wollten, und so trennten sie sich wieder. Aber dann haben sie beide gemerkt, daß es das wohl auch nicht ist. So legte Pete einen Ruhetag ein, Maria machte eine doppelte Tagesetappe, so daß sie sich wiedertrafen und dann gemeinsam nach Santiago gingen. Jetzt hat sie Pete verabschiedet und tröstet sich ein bißchen bei uns, indem sie erzählt. Ihr tut es einfach gut, Weggeschichten zu erzählen und zu hören. Und vielleicht ist es auch das, was das Refugio-Geheimnis ausmacht - die Verbundenheit derer, die auf dem Weg sind, die Geschichten, der »camino telegraph«. Von Maria hören wir Geschichten, die wir teilweise in anderen Versionen schon kennen, aber auch ganz neue, wie z. B. die von dem Leiter einer privaten Pilgerherberge am camino, der immer mal wieder sein Glück bei den Pilgerinnen probiert, das letztemal aber an eine gestandene, stämmige Fahrradpilgerin aus Holland geriet, die ihn kurzerhand rauswarf. Oder die Geschichte von dem Hundewelpen, der sich der kleinen Pilgergruppe anschloß, und den die Pilger dreimal wieder zum Haus zurückgetragen haben und beim letztenmal dann im mittleren Spurttempo losgerannt sind, um den kleinen Hund abzuhängen. Und da ist die Geschichte von Ludwig, der Geld sparen und mit Überlandbussen an Spaniens Südküste fahren wollte, um von dort aus mit einem österreichischen Busunternehmen für DM 100,— wieder nach Hause zu fahren - und der jetzt eine Woche Badeurlaub einlegen muß, weil der Bus ausgebucht ist. Oder der Brasilianer, der sich mit wundgelaufenen Füßen und unter Tränen vor Schmerz den cebreiro hinaufgekämpft hat und andauernd verbissen vor sich hin gesagt hat: Ein brasilianischer Mann weint nicht... Und sie erzählt, daß Pete in einem Refugio von dessen Leiter »angemacht« worden ist. Sie hatten ihn das erstemal vor dem Refugio getroffen, sie saß mit Pete und zwei anderen Pilgern gemütlich zusammen - da tänzelte Juan heran, begrüßte sie freundlich, strich Pete über das Haar, legte irgendeine CD auf, um sie nach einem Lied schon wieder gegen eine andere auszutauschen, setzte sich in Szene - und kam schließlich mit einer langen schwarzen Perücke wieder, unter dem T-Shirt provisorisch einen Busen ausgestopft. Er wieselte um die Männer herum, strich Pete immer wieder durch das Haar, holte sich schließlich einen Stuhl und zwängte sich neben Pete, obwohl an der anderen Seite des Tisches noch ausreichend Platz war - und flötete verheißungsvoll mit aufgeschlagenen Augen: »Im so dangerous - o, I’m so dangerous!« Es war ziemlich eindeutig - Juan war so was von schwul, wie man nur schwul sein kann - und machte kräftig die anwesenden Männer an, vor allem aber Pete.
    Oh, dieser camino - es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt.
    Es sind Weggeschichten, die den camino auch menschlich erfahrbar machen... sie werden Christiane und mich noch lange begleiten mit vielen »Weißt du noch?«, mit Bildern und Begriffen, die für uns auf dem Weg eine Bedeutung bekommen haben.
    Im französischen Grenzbahnhof haben wir gestern abend noch gegessen - und unseren Schreck über die offene Wagentür, mit der der Zug durch Spanien raste, mit einem Bier weggetrunken. Bei Maria klärte sich die noch offene Frage, was sie nun eigentlich nach dem camino machen wolle, insoweit, daß sie mit uns nach Paris fährt. Der Liegewagen war nicht voll belegt, so daß sie in unserem Abteil noch eine Liege bekommen konnte. Hinzu kam ein junger Mann mit Rucksack, so daß wir ziemlich unter uns waren - und sogar im Zug ein bißchen Refugio-Atmosphäre aufkam - unterstützt von einem (oder waren es doch mehr?) Pappbecher mit vino tinto.
    Jetzt sind wir genau 28 Stunden unterwegs - und mit welcher Gelassenheit ich das und die Menschen um mich herum ertrage, zeigt mir, daß sich etwas geändert hat.
     
    Wahlheim, 19.40 Uhr
    Das Heimkommen mag die schwerste Etappe sein... sogar 32 Stunden Zugfahrt haben dafür nicht ausgereicht. Und dabei sind alle so liebevoll...
    Manfred hat mich am Bahnhof in Worms abgeholt, hat sich den Abend für mich Zeit genommen, hat Lebensmittel eingekauft und sogar an Milch gedacht - und schenkt mir zum Ankommen ein schönes Buch von Santiago. Als wir durch die Stadt fahren,

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