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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters
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der Felsen ein wenig mehr verwittert, und wir fanden genug Risse und Kanten, um uns bis zum Rand hochzuziehen.
    Die Rucksäcke blieben ein paar Mal an vorstehenden Kanten hängen, doch schließlich hatten wir sie oben und schnallten sie uns wieder auf den Rücken. Dann ging es etwas sanfter bis zum Gipfel hinauf. Wir hatten es geschafft.
    Heftig atmend standen wir oben. James konnte wirklich stolz sein auf seine Leistung.
Doch diese Hochstimmung hielt nicht lange an. Als ich mich umsah und nach Norden eine Abstiegsmöglichkeit für uns suchte, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Diese verdammte Nordwand unter uns war vereist! Scheiße, davon hätte Achim mir bestimmt etwas gesagt, wenn das damals auch schon so gewesen wäre. Als er hier oben war, musste es viel wärmer gewesen sein. Die Vereisungen waren bestimmt eine Folge der kühlen Nächte in letzter Zeit.
Jetzt durften wir keine Zeit mehr verlieren. Wir mussten sofort wieder aufbrechen. Hier oben auf dem Gipfel gab es keine geschützte Stelle für unser Zelt, geschweige denn eine einigermaßen ebene Fläche. Wenn uns hier ein Unwetter überraschte, waren wir so gut wie tot.
James zeigte keinerlei Besorgnis, als ich ihm die vereiste Wand zeigte.
„Das geht bestimmt nicht sehr tief hinunter. Wir haben unsere Steigeisen und noch genügend Haken. Das wird schon klappen.“
Manchmal wünschte ich mir, genauso sorglos durch die Welt zu gehen wie er.
Doch es blieb uns nichts anderes übrig, wir mussten da hinunter, und zwar so schnell wie möglich. Also machten wir uns auf den Weg. Langsam aber stetig setzten wir einen Fuß hinter den anderen. Glücklicherweise war der Abstieg nicht sehr schwierig, doch da wir keine Winterausrüstung dabei hatten, wurden unsere Hände schnell gefühllos vor Kälte und auch die Muskeln reagierten langsamer.
Ich sah mich besorgt nach James um, der voranstieg, damit ich ihn im Ernstfall von oben sichern konnte. Er machte nicht den Eindruck, als hätte er mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als unter diesen Umständen zu erwarten war.
Am Fuß der Wand kamen wir auf ein Plateau, auf dem der Schnee noch vom Winter mindestens zwei Meter hoch lag. Die Oberfläche war vereist. Es kostete sehr viel Kraft, uns durch diese Schneewüste zu kämpfen. Bei jedem Schritt brachen wir bis weit über das Knie ein und die scharfen Kanten des Oberflächeneises schmerzten an den Oberschenkeln. Bald waren wir von den Füßen bis zur Taille klatschnass und unsere Beine würden heute Abend bestimmt über und über mit blauen Flecken bedeckt sein.
Die grellen Sonnenstrahlen brachten die Eiskristalle zum Glitzern. Es dauerte nicht lange, da tanzte die Welt um uns her in weiß, blutrot und grün – trotz der Sonnenbrillen. Sie waren für die gleißenden Schneerefflektionen viel zu schwach.
Ich ging vor und prüfte mit dem Pickel jede Stelle, bevor ich sie betrat. Ich wollte jetzt nicht auch noch, dass einer von uns in eine Spalte einbrach, die unter der Schneedecke vielleicht verborgen lag.
Hin und wieder drehte ich mich zu James um. Seine blonden Locken klebten verschwitzt auf dem staubverschmierten Verband, seine Augen hinter den grünen Gläsern seiner Sonnenbrille hatte er zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. Der Wille zum Durchhalten presste seine von der Kälte blauen Lippen hart aufeinander. Trotzig stapfte er vorwärts, die Hände zu Fäusten geballt.
Als wir das Schneefeld hinter uns hatten, schickte ich ein Dankgebet zum Himmel. Wir schnallten unsere Rucksäcke ab und ließen uns ächzend auf ein paar Felsbrocken nieder, die hier am Rand des nächsten Steilhangs aus dem Schnee ragten. Ich holte unsere Wasserflaschen und ein paar Streifen Pemmikan. James saß nur apathisch da und schüttelte den Kopf, als ich ihm etwas davon anbot.
Er musste essen, doch ich würde mit dem nächsten Versuch warten, bis er sich etwas erholt hatte.
„Wir haben es bald geschafft“, versuchte ich ihn zu trösten. „Dort unten liegt das Tal, wo wir hinwollen. Sobald wir eine ebene Fläche finden, schlagen wir das Zelt auf. Wir brauchen nur noch diese Steilwand hinabzuklettern.“
Er nickte matt.
„Ich sehe mir mal an, wo wir am besten einsteigen in die Wand und ob sie vereist ist.“
Ich stand auf und kletterte über die Felsbrocken am Rand des Abgrundes entlang. Gott sei dank, ich sah nur noch wenig Eis. Einige Mulden glänzten verdächtig, überwiegend schien der Stein jedoch trocken. Besonders schwierig würde es wohl auch nicht werden, wenn uns nicht wieder eine

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