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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters
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voran, um eventuell Haken in den Fels schlagen zu können.
James hielt sich tapfer, doch nach ein paar Stunden merkte ich, wie er langsamer wurde. Unter normalen Umständen wäre die Wand nicht sehr schwierig für uns gewesen, aber seine Wunde schien ihm mehr zuzusetzen, als er zugab.
Obwohl wir bereits im Morgengrauen aufgebrochen waren, hatten wir kurz vor Mittag den Gipfel immer noch nicht erreicht. Und jetzt stand auch noch ein Abriss vor uns, der leichten Überhang hatte. Das würde James, geschwächt wie er war, nicht ohne längere Pause schaffen. Glücklicherweise befand sich hier zu Füßen der Wand ein relativ breiter Felsvorsprung, den wir dazu nutzen konnten auszuruhen.
James ächzte, als er sich endlich den letzten Meter zu mir emporzog. Erschöpft und schwer atmend blieb er einen Augenblick auf dem Bauch liegen. „Ist doch härter als ich dachte.“, schnaufte er.
„Ruh dich aus, ich werde sehen, ob wir den Überhang nicht irgendwie umgehen können.“
James riss vor Schreck die Augen auf. „Nein, bleib hier, du kannst nicht ungesichert hier herumkraxeln.“
„Keine Sorge, ich werde das Seil an Haken sichern. Außerdem ist dieser Vorsprung breit genug.“ Ich lächelte und wandte mich zum Gehen.
„Ray?“
Ich drehte mich um „Ja?“
„Sei vorsichtig!“ Er blickte mich so besorgt an, ich musste lachen.
„Mach ich, ich komm wieder, versprochen.“
Der Abriss war sehr hoch und breit. Der Stein zeigte kaum Risse oder Vorsprünge. Es war fast unmöglich, da hinaufzukommen. Ich kramte in meinem Gedächtnis, ob Achim irgend etwas von dieser Wand erzählt hatte, doch ich konnte mich nicht daran erinnern. Also suchte ich weiter.
Die Aussicht war wundervoll, die majestätische Welt der Alpen war von hier oben viel besser und weiter zu überblicken. Die wild gezackten Bergkämme reihten sich gestaffelt hintereinander, bis sich über all dem in der Ferne der weiße, dreitausend Meter hohe Kamm des Sass Rigais in den makellos blauen Himmel hob.
Doch ich hatte kaum Augen für die Schönheit der Umgebung. Ich musste unbedingt eine Möglichkeit finden, weiter hinauf zu kommen. An dieser Stelle war der Absatz, auf dem ich mich bisher relativ bequem vorwärts bewegte, auf einer Breite von mindestens zwei Metern unterbrochen. Dazwischen lag glatter Stein.
Doch dann sah ich, was unsere Rettung werden konnte. Ein enger Riss tat sich in der Wand auf, gerade da, wo der Absatz wieder anfing. Ein Kamin, durch den wir uns recht einfach würden emporstemmen können. Wir mussten dort, wo der Weg aufhörte, nur etwa zwei Meter der glatten Wand überwinden. Das konnten wir schaffen, vielleicht an einem schwingenden Seil.
Ich ging zurück zu James, der inzwischen das Pemmikan hervorgeholt hatte und bereits fleißig kaute.
Pemmikan war eine Erfindung der nordamerikanischen Indianer. Sie zerstießen Trockenfleisch und mischten es mit Fett und getrockneten Beeren zu einem lange haltbaren und sehr nahrhaften Proviant.
Das Militär erkannte schnell seine positiven Eigenschaften. Man konnte es kauen oder mit Wasser zu einer Suppe verkochen. So verbreitete sich sein Gebrauch weiter, wurde verbessert, indem man Getreide und andere Trockenfrüchte mit darunter mischte. Ein ideales Nahrungsmittel für lange Wanderungen und Expeditionen. Es war leicht, und enthielt alle Nährstoffe und Mineralien, die der Körper brauchte.
„Und? Hast du was gefunden?“ Er lächelte, erleichtert, mich unversehrt wiederzusehen.
Ich nickte. „Einen Kamin, in dem wir uns hochstemmen können. Meinst du, du schaffst das?“
Ich beugte mich zu ihm hinunter und untersuchte seine Wunde. Das Betaisodona war orangerot durch den Verband gesickert. Ohne ihn zu öffnen, konnte man nicht sagen, ob das nur durch den Schweiß passiert war oder ob die Wunde wieder nässte. Wir würden gründlich ausruhen, wenn wir diesen letzten Bergkamm überwunden hatten. Jetzt mussten wir uns beeilen, um vor Einbruch der Dunkelheit vom Berg herunter zu kommen.
„Klar, mach dir keine Sorgen. Ich werde doch diesen kleinen Hügel noch wegstecken können. Iss erst einmal etwas, dann brechen wir auf.“
„Wir werden die Rucksäcke wieder anseilen und nachher hochziehen, dann können wir uns mit dem Rücken gegen die Wand abstützen und müssen uns nicht hochgrätschen.“
* * *
    Wir hatten sehr viel Glück. Der Riss war genau so weit, dass wir uns zuerst mit angewinkelten, später mit weit ausgestreckten Beinen zwischen den beiden Wänden einklemmen und hochschieben konnten. Oben war

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