Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
zielsicher seine Klage wieder auf. »Ich rede von der Hanse. In Utrecht haben Gesandte Englands mit der Hanse und unter der Führung Lübecks einen Frieden ausgehandelt. Sie erkennen gegenseitig die Handelsprivilegien an, wie sie vor dem Hansekrieg bestanden haben. Stell dir vor, die Engländer haben der Hanse sogar ihre englischen Niederlassungen zurückgegeben. Und die kölnischen Kaufleute wurden samt und sonders aus dem Londoner Stalhof vertrieben. So eine mordsmäßige Schw…«
»Scht, Peter«, unterbrach Fygen ihren Gemahl mit einem raschen Seitenblick auf Herman, bevor er ausgiebig zu fluchen begann.
Erst jetzt schien Peter den Kleinen wirklich zu bemerken, lächelte ihn an und zauste ihm durch die blonden Locken. »Ach, Herman hat sicher schon Schlimmeres gehört, nicht wahr, mein Kleiner?« Herman blickte seinen Helden groß an und nickte vage.
»Das sind doch rechte Schufte, die Engländer«, fuhr Peter ein wenig gemäßigter fort zu schimpfen. »Erst legen sie sich mit der Hanse an, und sobald sie im eigenen Land ein wenig Gegenwind bekommen, kippen sie sofort um und machen sich bei der Hanse lieb Kind.« Aufgebracht war er in der Küche hin und her gelaufen, nun ließ er sich schwer auf die Bank neben Fygens Patenkind sinken. In der Tat hatte der Kaperkrieg den Transport in so großem Maße beeinträchtigt, dass die englischen Tuchmacher auf die Barrikaden gegangen waren und die Regierung dazu zwangen, mit der Hanse Verhandlungen aufzunehmen, die nun im Utrechter Frieden ihren für Köln höchst unglücklichen Ausgang gefunden hatten.
»Das wird Folgen haben für unseren Englandhandel, wenn er nicht gar vollständig zusammenbricht, so viel ist sicher«, prophezeite Peter düster. Diese Neuigkeit stellte alle seine geschäftlichen Planungen vollständig in Frage, ja sogar seine gesamte Geschäftsstruktur, die im Wesentlichen auf dem Englandhandel basierte. Er würde darüber nachdenken müssen, die mit Mertyn für Januar geplante Reise nach London abzusagen. »Erst der Krieg gegen den Burgunder und dann das. Nein, es macht wirklich keinen Spaß mehr!«
Fygen hatte ihren Mann selten so aufgebracht gesehen, doch das Problem mit dem Englandhandel würde er schon zu lösen wissen, da war sie sicher. Es gab auch noch andere Märkte als den Londoner. Sie verstand seinen Ärger durchaus, doch ihre Gedanken kreisten um Herman. Der Junge saß still da. Es hatte etwas Anrührendes, wie die beiden da so nebeneinander auf der Bank saßen. Herman war schmal und groß für sein Alter. Er hatte Sewis’ herzförmiges Gesicht geerbt, doch um seine Augen lag ein verträumter, melancholischer Zug. So ähnlich mochte Peter als kleiner Junge ausgesehen haben, dachte Fygen zärtlich. Was würde Peter zu ihrem Familienzuwachs sagen, fragte sie sich. Was, wenn er etwas dagegen einzuwenden hätte? Selbstverständlich würde sie den Kleinen bei sich behalten, dazu war Fygen fest entschlossen. Herman hatte außer ihr niemand auf der Welt, und schließlich war sie seine Patin.
Der heiße Wein hatte Fygen gewärmt und gestärkt. Es war zwar ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt dafür, aber sie war bereit, ihr erstes ernsthaftes Gefecht mit ihrem Mann zu führen.
»Peter, können wir einen Moment in dein Kontor gehen? Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«
»Sicher«, antwortete ihr Gemahl verblüfft, und Fygen folgte ihm hinaus. Sie wartete, bis er es sich hinter seinem Schreibtisch bequem gemacht hatte, und eröffnete dann frontal das Gespräch: »Herman wird bei uns bleiben.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Nun, Sewis hat ihn hier bei uns abgeliefert und ist verschwunden.«
Peters Augenbrauen zogen sich bedenklich in die Höhe. »Und nun willst du ihn aufnehmen und großziehen?«
»Was spricht dagegen?«
»Nun, ich hatte eigentlich gedacht, wir würden eigene Kinder bekommen.«
»Die werden wir auch sicher noch bekommen«, antwortete Fygen. »Aber Herman kann doch trotzdem bei uns bleiben. Wo soll er denn sonst hin?«
»Die Zunft hat ein Waisenhaus gestiftet. Vielleicht würde er da unterkommen. Die barmherzigen Schwestern in der …«
»Ich könnte es nie über das Herz bringen, den Jungen in ein Waisenhaus zu geben«, unterbrach Fygen ihn hitzig. »Wir können es uns doch leisten, ihn aufzunehmen. Finanziell meine ich.«
»Ja, wenn die Engländer nicht …«
»Herr Lützenkirchen, das ist eine lahme Ausrede«, schnitt sie ihm erneut das Wort ab.
Peters Unternehmungen würden es nach wie vor
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