Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Wirtschafterin im Hause Lützenkirchen, einen Becher heiße Milch neben Hermans Teller und einen zweiten vor Fygen. Über Hermans Anwesenheit in ihrer Küche verlor sie kein erklärendes Wort. Überhaupt war sie alles andere als schwatzhaft, jedes Wort musste man ihr einzeln aus der langen Vogelnase ziehen. Doch das war einer der Gründe, warum Peter sie eingestellt hatte. Er konnte schwatzhafte Weibsbilder nicht ausstehen. Fygen nannte sie bei sich und Peter gegenüber nur die hagere Hilda, denn sie war hoch aufgeschossen und dürr. Pergamentene Haut überspannte die eingefallenen, farblosen Wangen, und sie trug vorzugsweise dunkle, graue Kleidung. Die Haare hatte sie jederzeit, auch im Haus, sorgfältig unter einer Haube verborgen, so dass Fygen nicht zu sagen vermochte, ob sie nun blond oder dunkel waren. Doch ihre unsteten, dunklen Augen ließen eher auf schwarzes Haar schließen. Insgesamt gemahnte ihre ganze Erscheinung an die einer dunklen Krähe. Und das war neben ihrer Schweigsamkeit und den guten Referenzen, die sie vorzuweisen hatte, der zweite Grund, warum Peter Hilda eingestellt hatte: Sie war unansehnlich genug, als dass es Gerede darüber geben konnte, dass die Frau einem alleinstehenden Junggesellen den Haushalt führte. Niemand, auch nicht der übelste Verleumder, hätte Peter unterstellen mögen, die hagere Hilda mehr als nur eines flüchtigen Blickes zu würdigen. Fygen musste bei dem Gedanken lächeln. Sie hatte Hilda in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft im Haus Zum Rosenbaum genau beobachtet, ohne sich einzumischen. Doch sie fand an der Art, wie Hilda den Haushalt führte, nichts auszusetzen. Ihr persönlich war Hilda ein wenig zu trocken. Sie hätte lieber einen fröhlicheren Menschen um sich gehabt, war sie doch an Katryns freundliche Gesellschaft gewöhnt. Doch in ihrer spröden Art war Hilda recht liebenswert und vor allem verlässlich. Getrost hatte Fygen daher die Führung des Haushaltes in Hildas bewährten Händen belassen und sich selbst darangemacht, die Arbeit in der Werkstatt aufzunehmen und ihren Betrieb aufzubauen, was ihr ohnehin mehr Freude bereitete. Leben und Lachen würden die Lehrmädchen ins Haus bringen, die Fygen einstellen wollte. Und das hatten sie ja heute Morgen auch ausgiebigst getan, dachte Fygen ein wenig verstimmt.
Herman hatte sein Brot aufgegessen. Ernst verkündete er: »Ich soll jetzt bei dir bleiben, Tante Fygen.«
»Das ist ja schön«, antwortete Fygen ein wenig zerstreut. So ganz konnte sie ihre Gedanken noch nicht von dem Vorfall in der Werkstatt lösen. »Und wie lange bleibst du bei mir?«
Herman richtete seinen schmalen, kleinen Körper kerzengerade auf. Seine kugelrunden blauen Augen schwammen in Tränen, doch er bemühte sich tapfer darum, nicht loszuheulen. »Für immer, sagt Mama.«
Nun schaute Fygen ihn doch aufmerksam an, sah die kummervollen Falten auf seiner geraden hohen Stirn und den empfindlichen, verletzten Zug um die dünnen Lippen.
Zugleich entdeckte sie das knautschige, schmuddelige Bündel, das neben Herman auf der Bank lag. Es mochte seine Kleider enthalten. Was hatte Sewis nun schon wieder angestellt, schoss es Fygen durch den Kopf. Fragend blickte sie Hilda an, doch die wirtschaftete mit Töpfen und Pfannen am Herd herum. Von ihr kam keine Erklärung. Dafür sagte Maren schnippisch: »Seine Mutter hat sich mit ’nem Landsknecht davongemacht und diesen niedlichen Knuddel einfach wie überflüssigen Ballast …«
»Schweig, Maren«, fuhr Fygen der Magd mit ungewohnter Schärfe über den Mund. Das lose Mundwerk der drallen jungen Frau ging ihr einmal mehr auf die Nerven. »Ich will kein Wort mehr in diesem Tonfall vor dem Jungen hören, hast du mich verstanden?«
Maren nickte betroffen.
»Hilda, könntest du bitte einen Moment mit mir hinauskommen?«, wandte Fygen sich an die Wirtschafterin, und im zugigen Flur erfuhr sie dann durch mühsames Nachfragen, was geschehen war. Sewis hatte in den frühen Morgenstunden an der Küchentür geklopft, den Jungen in den Raum geschoben und der verdutzten Maren sein Kleiderbündel in die Hand gedrückt. Sie hatte ihren Sohn umarmt und ihm befohlen, schön auf Tante Fygen zu hören. Dann hatte sie sich umgedreht und war verschwunden. Hilda war nicht zugegen und Maren nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, Sewis aufzuhalten oder Fygen sofort zu holen. Und nun saß der Kleine hier in Fygens Küche, von seiner Mutter allein gelassen und voller Angst.
Sauwetter hin oder her, entschlossen
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