Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
sich erst einmal die Hände am Feuer, bevor er sich zu seinen Kameraden setzte. Ein Krug frisch gebrauten Bieres machte die Runde. Natürlich kam das Gespräch heute schnell auf die Neuigkeit des Tages: den Utrechter Frieden. Viele hatten ja auf ein Ende des Krieges zwischen England und der Hanse gehofft, denn der Krieg hatte den Handel schon deutlich erschwert und die Preise für manche Güter sehr in die Höhe getrieben, aber bitte schön, nicht auf so ein Ende.
»Na, Lützenkirchen, schlechte Neuigkeiten!«, bedachte Ludwig Beckers, ein schwergewichtiger Wollenweber, Peter mit gutmütigem Spott. Der Englandhandel bestand im Wesentlichen im Austausch von kölnischer Seide und anderen Waren gegen englische Tuche.
»Es ist mir schon klar, dass es dich freut, wenn keine englischen Tuche mehr in die Stadt kommen. Aber auf lange Sicht schadet das uns allen«, entgegnete Peter und wischte sich die feuchte Locke aus der Stirn.
»Wahr, sehr wahr!«, beeilte sich ein anderer Kaufmann Peter beizupflichten. »Es ist kurzsichtig zu glauben, dass mehr kölnisches Wolltuch gekauft wird, bloß weil keines mehr direkt aus England kommt. Englisches Tuch wird nach wie vor seinen Weg in die Stadt finden, aber auf Umwegen und teurer als zuvor. Und die Leute werden es dennoch kaufen.«
»Und die Gewinne stecken andere ein«, schloss Peter ungerührt. Wo Mertyn nur blieb, fragte er sich. Er brannte darauf, mit seinem Freund die Lage eingehend zu erörtern. Wenn es nach ihm ging, so würde er sich nicht abschrecken lassen und wie geplant Anfang des Jahres nach London aufbrechen. Man würde schon sehen, ob in London noch Geld zu verdienen war.
Doch der Freund schien sich zu verspäten. Ungewöhnlich eigentlich, denn der Rat hatte festgelegt, dass vom Remigiustag, dem ersten Oktober, bis Ostern abends von neun Uhr, den Rest des Jahres über von zehn Uhr an, die Wachen auf ihre Posten zu gehen haben. Ein Poltern an der Tür zur Wachstube riss Peter aus seinen Gedanken. Da kam der säumige Wachgänger, eindeutig angetrunken und ausgezeichneter Laune. In jedem Arm hielt er eine billige, kichernde Schönheit. Dirnen, wie jedermann unschwer an ihren roten Hauben erkennen konnte, die der Rat der Stadt sie zu tragen zwang.
»Diese Damen wollten mich einfach nicht allein durch Nacht und Regen gehen lassen«, verkündete Mertyn beschwingt.
Erstaunt wandten sich aller Augen ihm zu. Ein harmloser Zeitvertreib wie das Spielen beim Wachgang mochte ja noch angehen, aber Weibsbilder mit auf die Wachstube zu bringen, das war denn doch ein wenig zu viel des Guten, befanden die Herren.
»Mertyn, schaff die Weiber hier raus!«, sagte Peter bestimmt. Was der Freund mit Frauen zu schaffen hatte, war dessen persönliche Sache, obwohl Peter es nicht ganz nachvollziehen konnte, denn eine nettere und darüber hinaus elegantere Frau als Katryn war schwerlich zu finden. Vor allem nicht unter den willfährigen leichten Mädchen der Stadt. Doch vielleicht war es gerade das, was Mertyn an ihnen reizte: das Vulgäre, Gewöhnliche, denn das fand er zu Hause nicht.
Die anderen Herren brummten Zustimmung, und so beugte Mertyn sich mit der enttäuschten Miene eines Jungen, dem man das Spielzeug fortgenommen hatte. »Mädels, ihr habt’s gehört, die Herren wünschen keine Gesellschaft.«
Aufgebrachter Protest war die Antwort, doch mit einem Klaps auf die Kehrseite der Damen verabschiedete Ime Hofe sie, nicht ohne jeder von ihnen ein Münze zugesteckt zu haben, und schob sie zur Tür hinaus.
Die Herren wandten sich wieder ihrem Spiel zu, während Mertyn es sich bequem machte und nach dem Bierkrug griff.
Doch so recht schien ihnen heute keine Ruhe zum Spiel vergönnt zu sein, denn wieder flog die Pforte auf, und mit einem Schwall eisiger Luft trat der Burggraf, gefolgt von einem seiner Knechte, in die Wachstube. Kurz ließ er den Blick über die entspannte Versammlung gleiten, dann polterte er los: »Ich sehe, hier wird gespielt!« Er holte kräftig Luft und blies die Backen auf. »Meine Herren, ein für alle Mal, hier wird nicht gespielt.«
Herzhaftes Gelächter scholl ihm entgegen, doch gutmütig legten die Spieler ihre Würfel fort und schnallten sich Harnisch und Schwert um.
Der Burggraf schaute grimmig, wie es seine Pflicht war, doch er begnügte sich mit der Ermahnung und verschwand brummend zur Pforte hinaus, um eine andere Wachmannschaft in einem anderen Wachturm an ihre Pflichten zu gemahnen.
6. Kapitel
F ygen saß in Peters Kontor am Schreibtisch
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