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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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erfordern, dass er längere Reisen unternahm, und so hatte er schon bald nach ihrer Hochzeit angefangen, sie in seine Geschäfte einzuarbeiten, und Fygen hatte sich als sehr gelehrig erwiesen. Es hatte ihr Spaß gemacht, die Geschäftsbücher zu durchforsten, in denen jede von Peters Transaktionen akribisch festgehalten war. Und so hatte sie mittlerweile einen guten Überblick über die Finanzen ihres Mannes bekommen. Mit seinen Geschäften hatte Peter genug Geld verdient und sicher beiseitegelegt, so dass sie ein sorgenfreies Leben führen konnten. Einen weiteren Esser würde man im Haus Zum Rosenbaum gar nicht bemerken.
    »Was genau ist das Problem, Peter? Magst du Herman nicht?«, forschte sie nach.
    Peter dachte an Hermans Eskapade auf dem Fensterbrett im Bruloftshaus. »Nun, offen gestanden habe ich Sorge, dass er seiner Mutter nachschlägt. Sie führt einen, nun, sagen wir recht ungezügelten Lebenswandel, und wenn er nach ihr gerät, wird er ebenfalls weiß Gott wo enden.«
    »Dann ist es umso wichtiger, dass er ein Zuhause bekommt«, entgegnete Fygen. »Jemand, der ihn liebhat und sich um ihn kümmert. Hast du nicht bemerkt, wie sehr dich der Junge anhimmelt? Er braucht einen Vater, und du würdest ihn sicher großartig erziehen. Vielleicht wird er später einmal Kaufmann so wie du?«, spielte Fygen ihren letzten Trumpf aus.
    Peter gab sich geschlagen und fragte: »Weiß der Junge schon Bescheid?«
    »Ja. Sewis hat ihm gesagt, er würde jetzt für immer bei uns bleiben. Er versucht, es mit Fassung zu tragen.«
    »Tapferer kleiner Kerl.«

    Doch damit war der missliche Tag für Peter noch nicht zu Ende. Unglücklicherweise musste er ausgerechnet heute seiner Bürgerpflicht nachkommen und auf der Stadtmauer Wache halten, bei diesem Sauwetter wahrlich keine schöne Aussicht. Wenn man auch in der Stadt außer gestiegenen Steuern, die sich beispielsweise für Drugwaren – alle »trockenen« Waren wie Gewürze, Baumwolle, Wolle, Färbemittel, Chemikalien und also auch Seide – verdoppelt hatten, nicht sehr viel vom Krieg in Neuss spürte, war die Bedrohung durchaus noch existent. Karl von Burgund hatte, entgegen der gewohnten Usancen, seine Belagerung nicht vor dem Beginn des Winters abgebrochen, sondern zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Der von vierzigtausend Kölnern aus tiefstem Herzen Verabscheute und Gehasste schien vielmehr fest entschlossen, die Stadt Neuss auszuhungern, auch wenn es den ganzen Winter hindurch dauern würde.
    Das Wollenamt, die Gaffel, in der Peter geführt wurde, war verantwortlich für die Verteidigung eines Stückes der Rheinmauer zwischen Butter- und Holzmarkt. Und so machte sich Peter, unter dem wollenen Umhang gerüstet mit Schwert und Harnisch, kurz vor neun am Abend auf den Weg zum Buttermarkt. Der peitschende Regen nahm ihm die Sicht, und er vermochte kaum, den teils knöcheltiefen Pfützen in den Straßen auszuweichen. Vorsichtig erklomm Peter die glitschige Treppe zum Wachturm, grüßte freundlich in die Runde und hängte seinen Umhang zum Trocknen auf. Seine Leidensgenossen, teils Kaufleute, Seidenhändler wie er, teils Wollweber oder Gewandschneider, allesamt ihm bekannte Bürger der Stadt, hatten im Wachraum kurzerhand gegen Kälte und Nässe ein Feuer entzündet, um ihre Nachtwache ein wenig erträglicher zu gestalten. Jeder Bürger oder Eingesessene war zum Wachdienst auf der Stadtmauer verpflichtet und musste, je nach Vermögen, Harnisch und Schwert, Spieß, Hellebarde oder Lanze besitzen.
    In den ersten Wochen seit Beginn des Neusser Krieges war man der Verpflichtung auch sehr ernsthaft nachgekommen. Doch der Krieg währte nun schon bald ein halbes Jahr, und nichts deutete darauf hin, dass der Burgunder gegen Köln marschieren würde. Erst recht nicht im Winter und schon gar nicht bei dem anhaltenden Schlechtwetter. Mit der Zeit hatte sich bei den Wachen ein wenig Schlendrian breitgemacht.
    Die wehrhaften Bürger hatten es sich gemütlich gemacht, soweit das in einer zugigen Wachstube möglich war. Waffen und Harnische stapelten sich entgegen den Vorschriften, nach denen die Harnische die ganze Nacht über zu tragen seien, an der Wand. Wenn man sich schon völlig sinnlos die Nacht um die Ohren schlagen musste, dann durfte es doch wenigstens ein wenig gesellig sein. Und so vertrieb man sich die Zeit, bis der Wächter am Morgen den Tag ankündigte, mit Dobblen und anderen Spielen. Peter schnallte Schwert und Harnisch ab, legte es zu der Waffensammlung und wärmte

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