Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
daran gewöhnen. Es würde zwar noch eine Weile dauern, bis Fygen ihren Aufgaben gerecht werden konnte, doch Peter war sicher, dass sie diese schließlich mit Bravur meistern würde.
Fygen sah, wie Eckerts kantige Kiefer mahlten. Angestrengt blickte er zu Boden, und dann brachte schließlich hervor: »Angesichts der, hm, Umstände …«, entgegen seiner sonst eher schlichten Redeweise drückte er sich ziemlich umständlich aus, »… halte ich es für das Beste, nun ja, dass ich meinen Dienst bei Euch quittiere.«
Peter stand da wie vom Donner gerührt. Damit hatte er nicht gerechnet. Doch Fygen verstand sofort. Sie verspürte Mitleid mit dem stämmigen Mann. Sie konnte nachfühlen, wie schlimm es war, sein gewohntes Zuhause verlassen zu müssen, nicht zu wissen, wohin es einen verschlagen würde. Und so war sie es, die Eckert spontan antwortete: »Du meinst, wegen des Vorfalles auf dem Schiff? Ja, das war wirklich unnötig grob. Aber wenn du dich künftig ein wenig beherrschst, sehe ich keinen Grund, warum wir nicht in Zukunft gut miteinander auskommen sollten.«
Eckerts schmale Augen weiteten sich erstaunt. Damit hatte er nicht gerechnet. Höflich verbeugte er sich vor ihr. »Danke, Frau Lützenkirchen«, antwortete er schlicht und ging davon, um sich an seine Arbeit zu machen.
5. Kapitel
F ygen ballte die Hände zu Fäusten und zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen, um nicht aus der Haut zu fahren. Aufgebracht wandte sie sich zum Fenster der Werkstatt, damit die beiden Lehrmädchen ihren Ärger nicht sahen. Der kalte Novemberwind peitschte unablässig graue Regenfäden gegen die Scheibe und rupfte die letzten Blätter von dem Rosenbaum vor dem Haus. Was für ein grässlicher Tag! Betroffen, mit hängenden Schultern, standen die beiden Lehrtöchter hinter ihr. Fygen hatte ihnen aufgetragen, Kettfäden für den freien Webstuhl vorzubereiten, war dann aber unterbrochen worden, bevor sie ihnen das entsprechende Garn herauslegen konnte. Die Mädchen hatten es gut gemeint, sich selbst an einem Garnballen bedient und dabei zielsicher das falsche Garn erwischt. Sie hatten begonnen, statt des Kettgarnes das kostbare Schussgarn in Fäden zu schneiden, um damit den Webstuhl aufzuscheren. Das Garn war verhunzt. Man könnte zwar noch damit weben, hätte jedoch laufend Fadenenden zu verweben, was der Qualität des Gewebes nicht gerade zuträglich wäre.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, schoss es Fygen durch den Kopf. »Wickelt die Fäden einzeln auf Spulen, wir werden sie schon irgendwie verbrauchen«, wies sie die Mädchen ruhig an, als sie sich wieder unter Kontrolle hatte. »Schaut her«, sagte sie, schritt durch den Raum und nahm einen Strang Seide aus einem der Bündel. »Das hier ist Kettgarn.« Die Mädchen streckten die Köpfe zusammen und nickten einsichtig. Sie hätten den Unterschied bereits erkennen müssen, doch in ihrem Eifer, es der Lehrherrin recht zu machen, hatten sie nicht so genau hingeschaut. »Ich bin sicher, dieser Fehler passiert euch nie wieder, nicht wahr?« Fygen fasste die beiden streng ins Auge. Es waren brave Mädchen, und normalerweise hatte Fygen nicht viel an ihnen auszusetzen. Zerknirscht nickten sie, doch zur Sicherheit nahm Fygen ein Stück Kreide und malte ein großes K auf das Bündel, in dem sich das Kettgarn befand. »So, jetzt wird sich keiner von uns mehr vertun. Ihr müsst wohl noch mal von vorn beginnen, fürchte ich«, seufzte Fygen, und flugs machten sich die Mädchen an die Arbeit, diesmal mit dem richtigen Garn.
Fygen konnte eine Pause gebrauchen, und sie wusste, die Mädchen würden nun alles daransetzen, ihre Arbeit richtig auszuführen.
Im Flur umfing Fygen zugige Kälte. Sie würde die Magd anweisen, den Mädchen zwei warme Wolldecken in ihre Schlafkammer unter dem Dach zu legen, damit sie nicht zu arg froren, überlegte Fygen und beeilte sich, in die wohlig warme Küche zu schlüpfen. Ein Becher heiße Milch würde ihr jetzt guttun.
Zu ihrem Erstaunen fand sie neben dem Herd einen kleinen Besucher vor. »Hallo, kleiner Mann. Kommst du uns besuchen? Das ist aber nett!«, begrüßte Fygen den jungen Herman, Sewis’ Sohn, und ließ sich neben ihm auf der Bank nieder.
Der fast Vierjährige schüttelte den blonden Wuschelkopf. Sprechen konnte er nicht, denn er war damit beschäftigt, mit beiden Backen angestrengt zu kauen. Vor ihm lag auf einem Teller ein angebissenes Brot, dick bestrichen mit süßem Rübenmus.
Ungefragt stellte Hilda, langgediente
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