Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
ihr offenbaren könnte? Mit einem Mal erschien ihr alles ganz einfach. Sie entschied sich, genau wie Augusta direkt zur Sache zu kommen. Und dann würde man schon sehen.
»Ja, es gibt etwas, das ich Euch fragen möchte«, sagte sie. »Doch zunächst einmal möchte ich, dass Ihr wisst, dass ich erst vor drei Tagen erfahren habe, dass mein Mann eine Mutter hat, die hier in der Stadt lebt. Peter hat nie von Euch gesprochen. Auch nicht von seinem Vater.«
Augusta nickte. Diese Eröffnung schien sie nicht zu überraschen, und Fygen fuhr fort: »Wie Ihr vielleicht wisst, komme ich nicht aus Köln.« Dann holte sie tief Luft für den nächsten, entscheidenden Satz. Augustas Reaktion darauf würde ihr eine Menge von dem verraten, was sie wissen wollte, und würde über den weiteren Verlauf des Gespräches entscheiden. Gespannt den Blick auf ihr Gegenüber geheftet, damit ihr auch nicht die kleinste Regung Augustas entgehen konnte, sagte sie: »Ich bin eine geborene van Bellinghoven und komme aus Zons.«
Augusta bemühte sich um eine gleichgültige Miene, aber Fygen hatte das kurze, überraschte Zucken ihrer Lider, das Erschrecken für den Bruchteil einer Sekunde, wahrgenommen. Augusta lächelte verbindlich, ließ sich nichts anmerken, aber Fygen war nun sicher, dass sie auf der richtigen Fährte war. Der Anfang war gemacht, es gab nun kein Zurück mehr. Sie hoffte, sie würde auch weiterhin die richtigen Worte finden.
»Und nun möchte ich zu dem eigentlichen Grund meines Besuches kommen. In Peters Besitz befanden sich ein paar Ländereien in der Nähe von Zons, die früher einmal meinem Vater gehört haben. Sie wurden erworben in dem Jahr, in dem mein Vater …« – hier zögerte Fygen einen Moment und entschloss sich für das unschuldigere Wort – »… verstarb. Und Peter sagt, er habe sie von seinem Vater geerbt.«
»Und Peter weigert sich nun, Euch zu sagen, wie sein Vater in ihren Besitz gekommen ist, nicht war?«, mutmaßte Augusta. Sie kannte ihren Sohn gut genug, um sich seine Verschlossenheit vorstellen zu können. Wenn er etwas nicht sagen wollte, so konnte nichts auf der Welt ihn dazu bewegen, das war schon immer so gewesen.
Eigentlich hatte Fygen ihrer Schwiegermutter nicht eingestehen wollen, dass Peter ihr etwas verheimlichte. Doch ebenso wie sie Augusta beobachtete, registrierte ihre Schwiegermutter jede Reaktion, die sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte, und Fygen wusste, dass ihr Gesicht sie verriet, fühlte, dass sich auf ihren Wangen hektische rote Flecke der Aufregung zeigten. Zu nahe ging ihr diese Angelegenheit.
In Augustas Kopf arbeitete es fieberhaft. Das war es also. Deswegen war das Mädchen hier. Um herauszufinden, was mit ihrem Vater geschehen war, wer die Schuld an den unsäglichen Geschehnissen trug, die zum Tod Konrad van Bellinghovens geführt hatten. Was musste es für ein Gefühl sein zu erfahren, dass der eigene Mann in die Affäre um den Tod des Vaters verstrickt war? Augusta bewunderte Fygens Mut, der sie die offene Konfrontation mit ihr suchen ließ. Zugleich verspürte sie Mitleid mit dem Mädchen. Zu genau kannte sie den Zwiespalt zwischen Loyalität dem Gatten gegenüber und enttäuschtem Vertrauen. Sie selbst hatte einst aus Angst geschwiegen, hatte geduldet, dass dieses Schweigen die Familie zerriss und ihr das Kostbarste nahm, das sie je besessen hatte: ihren Sohn. Und nun drohte dieses Geheimnis weiteres Unglück anzurichten. So viele Jahre waren seitdem vergangen. Und die Wahrheit würde heute niemandem mehr schaden können …
Augusta traf ihre Entscheidung. Wenn Peter es nicht vermochte, sie würde ihrer Schwiegertochter die Wahrheit sagen. Sie nahm noch einen Schluck Wein, denn sie würde alle Kraft brauchen.
»Fygen, es ist nicht so, dass Peter dir nicht die Wahrheit sagen will«, erklärte sie ruhiger, als sie sich fühlte. Unbewusst war sie zum vertrauten »Du« gewechselt. »Er kann es einfach nicht, denn er hat sein Wort gegeben. Ich weiß nicht, was du über die unselige Angelegenheit damals weißt, denn du musst noch ein kleines Mädchen gewesen sein. Ich selber weiß – Gott sei es gedankt – nicht alles und will es auch nicht erfahren. Was ich jedoch weiß und was du zu Recht vermutest, ist, dass mein Mann, Peters Vater, mit deinem Vater Geschäfte machte. Und dabei kam es zu Unstimmigkeiten.« Hier machte sie eine Pause und griff erneut nach dem Becher. Ihr Blick tauchte tief in die dunkle Flüssigkeit, als erwarte sie, dass die Erinnerungen aus
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