Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
diese Truppe. Die zweitausend Mann zu Fuß und zweihundert Berittenen unter Wilhelm von Aremberg und Johann von Gymnich würden das Kriegsgeschick hoffentlich zum Guten zu wenden wissen. Die abmarschbereiten Männer hatten auf dem Alten Markt Aufstellung bezogen und ließen sich von den Schaulustigen feiern und bejubeln. Auch Fygens Lehrmädchen und Maren, den kleinen Herman an der Hand, wollten sich trotz des schlechten Wetters das Schauspiel nicht entgehen lassen. Herman hatte so lange an Fygens Rock gezogen, gebeten und gebettelt, dass sie ihn schließlich hatte gehen lassen. Fygen hatte keine Lust verspürt, sie zu begleiten, war aber auch zu müde, um zu arbeiten. Sie fühlte sich immer noch schlapp und ausgelaugt. Mechanisch und ohne Begeisterung hatte sie in den letzten Wochen ihre Arbeit verrichtet, aber immerhin war es ihr seit Katryns Besuch überhaupt wieder möglich aufzustehen und zu arbeiten. Fygen seufzte. Es würde nicht schaden, wenn auch sie sich heute ein paar ruhige Stunden gönnte. Also setzte sie sich zu Hilda in die Küche, griff nach dem Flickkorb und lehnte sich behaglich mit dem Rücken an die warme Ofenwand. Ihr Blick wanderte durch das Küchenfenster hinaus. Draußen trieb der Wind einen Regenschauer durch den Hof, doch hier drinnen herrschte eine gemütliche Wärme. Hilda stellte eine große Pfanne auf den Herd, und Fygen sah zu, wie sie mit einem Löffel weißes Fett abstach und es in die schwere eiserne Pfanne gab. Dann suchte Fygen sich ein zerrissenes Hemd von Herman aus dem Flickkorb und fädelte Garn in der Farbe des Hemdes in eine Stopfnadel. Sie hatte gerade ein paar Stiche gemacht, als Hilda sich räusperte. »Sie wohnt Auf dem Berlich«, sagte die Hauswirtschafterin in das Zischen des Fettes hinein.
»Wer?«, fragte Fygen mechanisch, ohne von ihrer Flickarbeit aufzublicken.
»Die alte Frau Lützenkirchen.«
Fygens Kopf fuhr herum. Mit offenem Mund starrte sie Hilda an, doch die schichtete unbeirrt Wurstscheiben für ein spätes Frühstück in die Pfanne. Fygen saß wie versteinert, die Stopfarbeit unbeweglich in den Händen. Hatte sie sich verhört?
Der herzhafte Duft nach gebratener Blutwurst zog durch die Küche, und Fygen verspürte Appetit, zum ersten Mal seit Wochen. Mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte.
»Nehmt Platz, Frau Lützenkirchen, Frau Lützenkirchen wird jeden Moment kommen.« Die ältliche Bedienstete im Haus ihrer Schwiegermutter vermochte es, diesen Satz ohne ein Zögern hervorzubringen, ein unverbindliches Lächeln auf dem flächigen Gesicht. Sie hatte Fygen in ein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer im ersten Stock des nicht allzu großen, aber komfortablen Hauses geleitet und zog sich nun mit einem angedeuteten Knicks zurück. Doch Fygen war zu nervös, um sich zu setzen. Unruhig schritt sie im Zimmer auf und ab. Es hatte drei Tage gedauert, bis Fygen endlich den Mut aufbrachte, ihre Schwiegermutter im Haus Auf dem Berlich aufzusuchen. Drei Tage des Zauderns, in denen sie sich gefragt hatte, wie Peters Mutter auf ihren Besuch reagieren würde. Was, wenn ihre Schwiegermutter sie nicht zu sehen wünschte, sich verleugnen ließe oder sie gar des Hauses verwies? Es war schon ein starkes Stück, was sie da beabsichtigte. Wie würde sie selbst reagieren, wenn plötzlich jemand zu ihr käme und sie nach Dingen fragen würde, die Peters Geschäfte beträfen? Sicher nicht gelassen. Immer wenn Fygens Gedanken an diesem Punkt angelangt waren, hatte sie der Mut verlassen, und sie hatte das Vorhaben vertagt. Doch Fygen wollte die Wahrheit erfahren, also blieb ihr keine Wahl, das wusste sie. Die alte Dame war die Einzige, die ihr Klarheit verschaffen konnte.
Heute endlich hatte sie sich ein Herz gefasst, nach Mittag ihre Arbeit beendet und Maren gebeten, ihr ein Bad einzulassen. Zur Arbeit pflegte sie ein schlichtes Kleid zu tragen und ihre Haarflut mit einigen Bändern straff aus dem Gesicht zu binden. Und seit Peter fort war, hatte sie sich auch nicht mehr die Mühe gemacht, sich zum Nachtessen umzukleiden. Doch heute legte sie besonderen Wert auf ihr Äußeres. Der kleine Herman hatte es sich auf Fygens Bett bequem gemacht, um ihr bei der Toilette zuzuschauen. Auf dem Bauch liegend, den Kopf auf die Fäuste gestützt, beobachtete er, wie Maren ausgiebig Fygens Haar bürstete, bis es glänzte, obwohl man die Locken gar nicht sehen würde, denn Fygen setzte eine adrette weiße Haube auf, wie es sich für eine verheiratete Frau geziemte. Dazu wählte sie
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