Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Zipfel ihres Regenumhangs auf die Nase und eilte den Gang entlang in Richtung Küche. Von dort schienen der Rauch und die Stimmen zu kommen. Brannte es in der Küche, oder hatte Maren einfach das Essen anbrennen lassen?
Mit wenigen Schritten war Fygen an der Küchentür und riss sie auf. Hier war der Gestank noch intensiver, doch der dichte Rauch war bereits durch das geöffnete Fenster abgezogen. Mit einem raschen Blick erkannte sie, dass keine wirkliche Gefahr drohte. Stattdessen zeigte sich Fygen ein Anblick, bei dem sie beinahe laut gelacht hätte.
Mit hoch erhobener Rechten, eine Schöpfkelle in der molligen Faust und so schnell sie konnte, watschelte Maren hinter Herman her, der behende vor ihr zu flüchten suchte.
»Du kleiner Verbrecher«, zeterte Maren.
Hermans Hemd war von Ruß geschwärzt, und in seinen blonden Locken hatten sich ein paar Hühnerfedern verfangen. Der Kleine brüllte laut und sorgte dafür, immer einen gewissen Vorsprung vor der erbosten Magd zu halten. Tränen liefen ihm über das Gesicht, doch er war ein flinker Junge, und die dralle Maren eilte keuchend und mit hochrotem Gesicht und aufgelösten Haaren ungelenk hinter ihm her, während sie höchst unchristliche Flüche ausstieß.
Ein großer, schwarz angekohlter Topf mit undefinierbarem, ebenfalls verkohltem Inhalt lag auf den Dielenbrettern. Es schien in der Tat nur etwas auf dem Herd angebrannt zu sein. Was jedoch Herman damit zu schaffen hatte, konnte Fygen sich nicht erklären. Maren und Herman schienen sie nicht bemerkt zu haben, und nachdem sie das Treiben eine Weile beobachtet hatte, entschloss Fygen sich einzugreifen. Mit einer raschen Bewegung erwischte sie den Flüchtenden am Hemd und hielt ihn fest.
»Lass mich los, Tante Fygen! Sie schlägt mir sonst die Kelle auf den Kopf!«, krähte der Kleine.
»Ah, hab ich dich endlich!«, schnaufte Maren und packte Herman bei den Haaren.
»Schluss jetzt, alle beide!«, befahl Fygen energisch. »Du hörst auf zu schreien«, wies sie Herman zurecht, »und du« – sie blickte streng auf die Magd – »lässt ihn los. Du reißt ihm ja alle Haare aus. Was ist hier eigentlich geschehen?«
Nur widerwillig ließ Maren ihre Hand sinken und schaute Herman wütend an. »Dieser Satansbraten! Umbringen könnt’ ich ihn!«
»Ja, das habe ich schon verstanden«, stellte Fygen trocken fest.
Herman wischte sich mit dem Rücken seiner kleinen, schmierigen Hand die Tränen vom Gesicht. »Ich wollte doch nur einen Festtagsschmaus kochen«, brachte er empört hervor. »Der sollte für dich sein. Damit du wieder isst und wieder fröhlich bist!«
»Da hört Ihr es, Frau Lützenkirchen!«, keuchte Maren. Schwer ließ sie ihren breiten Hintern auf die Küchenbank sinken. »Einen Festtagsbraten. Dieser Wicht hat mir den Topf verkohlt, ein Huhn umgebracht und eine Riesensauerei veranstaltet. Das ganze Haus hätt’ abfackeln können …«
»Wieso war er denn so lange allein in der Küche?«, forschte Fygen nach.
Schneller als Fygen es ihr bei ihrer Leibesfülle zugetraut hätte, sprang Maren von der Bank auf, murmelte etwas, das klang wie »Betten aufschütteln«, und watschelte zur Küchentür hinaus.
»So, mein Freund«, wandte sich Fygen dem jungen Mann zu, der nun doch nicht mehr ganz so forsch, sondern ein wenig betreten neben ihr stand und zu Boden blickte. »Jetzt erzähle mir mal ganz genau, was du gemacht hast.«
»Aber du bist nicht böse, Tante Fygen, nicht wahr?«
»Nein, ich bin nicht böse«, beruhigte sie ihn.
Nach und nach stellte sich heraus, dass Herman im Hof ein Huhn eingefangen und geschlachtet hatte. Das allein war an und für sich bereits ein beachtliches Unterfangen für einen Jungen in seinem Alter. Denn das Huhn schien anderen Sinnes gewesen zu sein als Herman und hatte dies gackernd, flügelschlagend und um sich hackend kundgetan, was dem Kleinen etliche Kratzer und Schrammen eingetragen hatte. Doch unbeirrt hatte er dem Huhn den Hals umgedreht, wie er es bei Maren beobachtet hatte, und es sodann ungerupft mitsamt Federn, Kopf und Krallen in einen Topf befördert und, ohne Fett oder Wasser zuzugeben, zum Kochen auf den heißen Herd gestellt.
Herman war ehrlich empört darüber, dass sich sein Huhn nicht in einen duftenden Braten, sondern in einen stinkenden und qualmenden Klumpen verwandelt hatte, und Fygen biss sich in die Faust, um nicht vor Lachen über sein enttäuschtes Gesichtchen laut herauszuplatzen. Nur gut, dass Peter diese Eskapade verpasst hatte, er
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