Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
ein geschmackvolles, burgunderfarbenes Kleid mit dezentem Ausschnitt, das zwar elegant, aber nicht zu modisch wirkte. Die Ärmel waren nicht zu weit und die silbernen Stickereien nicht zu üppig. Es war ihr sehr wichtig, auf Peters Mutter den denkbar besten Eindruck zu machen.
Als sie ihre Toilette beendet hatte, drehte sie sich vor Herman im Kreis. »Na, was sagst du?«
Herman schob bewundernd die Unterlippe vor und nickte gewichtig, eine Geste, die er Peter abgeschaut hatte. »Nicht schlecht«, sagte er.
»Was? Nur nicht schlecht?« Fygen tat enttäuscht und zog einen übertriebenen Schmollmund.
Herman ließ seine erwachsene Miene fallen und strahlte sie mit blitzenden Augen an: »Du bist wunderschön. Fast so schön wie eine Königin«, sagte er mit ehrlicher Bewunderung.
»Danke, mein Kleiner.« Fygen beugte sich zu ihm hinab und gab ihm einen Kuss. »Ich hoffe nur, dass ich auch den Mut einer Königin habe.«
Es war ein längerer Fußmarsch bis zum Berlich, doch Fygen war dankbar für die Bewegung, denn sie linderte ein wenig ihre Anspannung. Ausnahmsweise regnete es nicht, und Fygen hatte das Haus ihrer Schwiegermutter schnell gefunden. Und jetzt stand sie hier und würde gleich Peters Mutter gegenübertreten. Ein wenig erschrak sie nun doch vor ihrem eigenen Mut. Aber es gab kein Zurück.
Fygen war ans Fenster getreten und blickte auf den kahlen Weingarten des Klosters von St. Klara hinab, der sich auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse ausdehnte. Trostlos braun standen die Rebstöcke da, ihrer Blätter beraubt und nass vom letzten Regenschauer. Fygen hörte, wie sich die Tür öffnete. Sie holte tief Luft, straffte die Schultern und wandte sich um, gespannt auf das, was nun geschehen würde.
Doch zunächst geschah gar nichts. Augusta Lützenkirchen war eine aufrechte, stattliche Frau in den Sechzigern. Sie überragte Fygen um gut einen Kopf. Und von dieser Höhe herab musterte die alte Dame Fygen nun mit klaren blauen Augen.
Dann reichte sie Fygen langsam die Hand und brach mit wohlklingender, ein wenig tiefer Stimme das Schweigen: »Ihr müsst verzeihen, dass ich Euch ein wenig anschaue, denn ich habe mich oft gefragt, wie meine Schwiegertochter aussehen würde.« Sie machte eine Pause, um Luft zu holen, und fuhr dann fort: »Dass Ihr hübsch sein sollt, habe ich schon gehört, aber man hat Euch nicht geschmeichelt.« Ein kleines Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und Fygen konnte sehen, dass Augusta einst eine Schönheit gewesen sein musste. Noch immer waren ihre Züge ebenmäßig, die Haut rosig. Doch die Jahre hatten ihren Tribut gefordert und ihr tiefe Falten um Nase und Mund gegraben.
Fygen war überrascht. Mit vielem hatte sie gerechnet, aber nicht mit einer solchen Freundlichkeit. Verzweifelt versuchte sie sich an all das zu erinnern, was sie die alte Dame fragen wollte, doch es war wie fortgeblasen. Mein Gott, was machte sie hier eigentlich?
Fygen knickste verlegen und spürte, wie sie errötete. Ein wenig gepresst sagte sie: »Guten Tag, Frau Lützenkirchen.«
»Schön, Euch kennenzulernen, Frau Lützenkirchen«, kam die prompte Antwort, und dasselbe, ein wenig spitzbübische Lächeln, das Fygen an Peter so liebte, huschte über Augustas Züge. Fygen fand es seltsam, ihren neuen Namen aus dem Mund ihrer Schwiegermutter zu hören, sie selbst hatte sich ja noch nicht an ihn gewöhnt. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass Augusta Humor zu haben schien.
»Kommt, mein Kind, setzen wir uns. Ich bin sicher, wir haben uns viel zu erzählen. Und das geht bestimmt besser bei einem guten Becher Wein.« Sie bedeutete Fygen, in einem der gepolsterten Stühle Platz zu nehmen, und setzte sich ihr gegenüber auf die andere Seite eines niedrigen Tisches mit elegant geschnitzten Beinen. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis die Wirtschafterin mit einem Krug dampfenden Weines, zwei Bechern und einer Schale würzigen Gebäckes erschien. Behutsam stellte sie die Köstlichkeiten auf dem Tischchen ab und schenkte den Wein ein. Als sie den Raum verlassen hatte, griff Augusta nach ihrem Becher, nahm einen tiefen Schluck und fragte in der ihr eigenen, direkten Art: »Ich nehme nicht an, dass dies ein Höflichkeitsbesuch ist? Ihr habt sicher einen guten Grund, hierherzukommen, nicht wahr?« Immer noch lag das freundliche Lächeln auf ihrem Gesicht, doch Fygen meinte dahinter eine vorsichtige Wachsamkeit zu verspüren. Konnte es sein, dass Augusta Angst hatte? Angst vor etwas, das sie, Fygen
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