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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Manneskraft in der Hose für eine richtige Frau?«, gurrte sie und deutete mit ihrem mehr als doppelten Kinn auf Fygen. Lachend reckte sie Eckert ihre üppige Oberweite entgegen, die kaum von ihrem Mieder gehalten wurde. »Willst du mal fühlen: reif und schwer wie frisches Obst.«
    Fygen konnte erkennen, dass ihre Zähne schwarz waren und zwei der Schneidezähne fehlten. Doch Eckert schüttelte nur den Kopf und ging unbeirrt weiter, noch mürrischer dreinblickend als bisher.
    Immer wieder ließ Fygen ihren Blick über die Menschen schweifen und versuchte, Peters vertrautes Gesicht in der Menge zu entdecken. Zweimal vermeinte sie sogar, von weitem seinen Blondschopf über die Köpfe hinausragen zu sehen, doch beide Male musste sie erkennen, dass sie sich getäuscht hatte.
    Vor der Hauswand eines Weinzapfes stand ein hagerer Wanderprediger mit hohlwangigem Gesicht und fanatisch brennenden Augen und beschwor theatralisch den Untergang der Welt. In glühenden Farben malte er den Vorbeiströmenden alle Qualen der Hölle aus, die ein Sünder zu erdulden habe, so er nicht dem Bösen entsage. Seine Warnungen unterstrich er mit großen Gesten seiner langen dürren Arme, die wie Besenstiele aus den Ärmeln seiner staubigen schwarzen Kutte hervorstachen. Fygen beobachtete, wie ein junges Paar mit einem schreienden, in schmuddelige Tücher gewickelten Säugling auf den Prediger zutrat. Der Gottesmann unterbrach sofort seine Tiraden. Ein paar Münzen wechselten den Besitzer, der Geistliche kramte eine schmale Stola aus der Tasche seiner Kutte, legte sie sich um den Hals und setzte ein frommes Gesicht auf. Dann bückte er sich, kramte in einer abgegriffenen Tasche, die zu seinen Füßen stand, und förderte eine verkorkte Flasche zutage. Mit der gleichen großen Geste, mit der er eben noch die Welt zu retten versucht hatte, schlug er nun ein Kreuzzeichen über den Säugling, träufelte ihm salbungsvoll ein wenig Weihwasser aus der Flasche über das haarlose Köpfchen und murmelte einige lateinische Worte. Die Eltern des Neugeborenen schienen zufrieden, dankten ihm und gingen davon, woraufhin der Prediger die Welt für kurze Zeit ihrem Schicksal überließ und flugs in dem Weinzapf verschwand, um sein schwer verdientes Geld in einen wohlschmeckenden Tropfen zu verwandeln.
    Immer tiefer drang Fygen mit Eckert ein in diese provisorische Stadt, die von Handel und Habsucht lebte, sich von Profit und Gier ernährte und an Tand und Schein ergötzte. Als gäbe es in der Budenstadt nicht bereits genug zu erstehen, schloss sich rechter Hand der Hauptstraße zum Fluss hin sogar noch ein Jahrmarkt an, dessen Wege geometrisch angelegt waren. Fygen war überrascht über die Vielfalt des Angebotes, das auf den Ständen und Tischen ausgebreitet lag. Es stand den auf dem Neumarkt zu Köln abgehaltenen Jahrmärkten sicher in Mannigfaltigkeit und Fülle nicht nach. Doch sie war nicht hier, um einzukaufen, sosehr es sie auch reizte, in den Bergen von Spitzen zu wühlen oder nach feinen Tuchen Ausschau zu halten. Ihr Gepäck war knapp bemessen und umfasste gerade das Nötigste für die Reise. Sie konnte sich unmöglich mit unnötigen Einkäufen belasten. Nur kurz bedauerte Fygen diesen Umstand. Vielleicht würde sich auf der Rückreise von London noch eine Gelegenheit zum Einkaufen ergeben. Stattdessen beschloss sie, mit Eckert in einer der Garküchen zu essen, aus denen der köstliche Duft nach gebratenen Ferkeln in ihre Nase drang. Beschwingten Schrittes bog sie in eine der Nebengassen ein, die in nördlicher Richtung von der Hauptgasse abzweigte. Bald hatten sie sich für einen Stand entschieden, an dem ein stämmiger Gastwirt vergnügt hinter seinem blechernen Rost schwitzte, auf dem saftige Koteletts brieten. Neben dem Rost waren im Schatten einer Zeltplane ein paar grobe, blank gescheuerte Tische und Bänke aufgestellt. Dort ließen Fygen und Eckert sich auf das freundliche Geheiß des Wirtes hin mit ihren gut gefüllten Tellern nieder. Das Fleisch war so zart und wohlschmeckend, wie man es sich nur wünschen konnte, und das frische, helle Brot, das dazu serviert wurde, noch ofenwarm, und so machten sie sich, höchst zufrieden mit ihrer Wahl, hungrig über ihr Abendmahl her. Fygen war so vertieft in ihre Mahlzeit, dass sie nicht sofort bemerkt hatte, wie in unmittelbarer Nähe auf der Gasse ein Streit entbrannt war, zwischen einem älteren, wohlbeleibten Kaufmann und einem kräftigen, hoch gewachsenen Offizier. Die beiden Kontrahenten standen

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