Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
als Entschädigung nehmen?«, sagte er drohend.
Wie von einer Feder aufgezogen, schoss Fygen empor. Sie reichte dem Soldaten nur knapp bis zur Brust. Wütend funkelte sie ihn an und zischte: »Wagt es ja nicht, Hand an mich zu legen.«
Der Offizier stutzte nur einen Moment, dann streckte er mit einem höhnischen Grinsen seine grobe Rechte nach ihr aus.
In dem Moment umfasste etwas mit eisernem Griff ihren Arm, und Fygen wurde fortgerissen, fort von diesem finsteren Schlächter und hinaus aus dem Kreis der Gaffer.
9. Kapitel
D umpf und wie durch einen Schleier blickte Fygen auf die Landschaft, die an ihr vorüberzog. Es war ein flaches Land mit smaragdfarbenen Wiesen, das sich vor ihr ausbreitete, ab und an unterbrochen von einem Waldstück. Am Flussufer wucherte silbernes Schilf, und Weiden ließen ihre langen Blättervorhänge zur Kühlung ins Wasser baumeln. Manchmal winkte von ferne ein Kirchturm und zeugte von der Nähe einer Ortschaft, doch Fygen kannte ihre Namen nicht, wollte sie auch nicht erfahren. Es war wieder ein heißer Tag geworden, aber der Frühlingswind strich über das Wasser und bescherte ihnen das rechte Wetter für die Reise. Flussabwärts ging es, in Richtung der Niederlande. Der Rhein führte gerade die rechte Menge Wasser, genug, um das Schiff schnell rheinabwärts zu bringen, aber nicht so viel, dass Gefahr bestand, abzutreiben oder von umherschwimmenden Baumstämmen gerammt zu werden, wie es bei Hochwasser zu befürchten stand. Doch Fygen war viel zu benommen, um den Zauber des Tages und die Schönheiten der Landschaft genießen zu können. Zu lebhaft standen ihr noch die Geschehnisse des gestrigen Abends vor Augen.
Ein Stück entfernt von ihr lehnte die massige Gestalt Eckerts an der Reling des Niederländers. Er hatte sich in Schweigen gehüllt und schaute scheinbar entspannt in die Weite, doch Fygen wusste um seine ständige, unterschwellige Wachsamkeit. Und genau für diese war sie ihm unendlich dankbar. Geistesgegenwärtig hatte er am vergangenen Abend die Gefährlichkeit des Momentes erkannt und blitzschnell reagiert. Im Laufschritt hatte er sie hinter sich hergezogen, die Gasse entlang, dann die Hauptstraße hinunter. Als sie die Klostermauern erreicht hatten, war die Dämmerung bereits hereingebrochen. Eiligst, aber doch langsam genug, um kein Aufsehen zu erregen, hatte Eckert sie dann in ihrer Mönchszelle in Sicherheit gebracht. Die ganze Nacht konnte Fygen nicht schlafen. Immer wieder hatte ihr das blutige Bild ihres Onkels vor Augen gestanden und sie zum Zittern gebracht. Dann war sie von Weinkrämpfen geschüttelt worden, während durch die Stoffbespannung, die den Raum zweiteilte, Eckerts gleichmäßige Schnarchgeräusche drangen. Bereits vor Tagesanbruch hatten sie das Kloster verlassen und waren noch im Schutz der Dunkelheit an Bord eines Schiffes gegangen, das sie in zwei Tagen nach Dordrecht bringen würde, der bedeutendsten Hafenstadt der Niederlande.
Pünktlich mit dem ersten Tageslicht war der Niederländer ausgelaufen, und mit jedem Moment, der verstrich, mit jeder Meile, die sie zurücklegten, vergrößerte sich der Abstand zum Neusser Heerlager mitsamt seiner grauenhaften Bedrohung.
Es bekümmerte Fygen, dass sie den Leichnam ihres Oheims einfach so im Staub hatten liegen lassen. Der Anstand hätte es geboten, dass sie ihrem Oheim ein Begräbnis ausrichtete, war er doch schon ohne den Segen Gottes aus diesem Leben geschieden. Aber Eckert hatte diesen Vorschlag rigoros als zu gefährlich abgelehnt, und Fygen hatte ihm diesmal ausnahmsweise nicht widersprochen. Doch sie schämte sich ein wenig für ihre Feigheit.
Der Tag dümpelte vorüber, und bereits früh am Abend, lange bevor das Schiff Anker für die Nacht warf, zog Fygen sich auf ihre schmale Pritsche unter Deck zurück. Es störte sie nicht sehr, die enge Kajüte mit anderen Reisenden zu teilen, und für eine Nacht mochte es angehen, in ihren Kleidern zu schlafen. Die verlauste Wolldecke, die ihr der Schiffer großzügig überlassen wollte, lehnte sie jedoch höflich ab. Stattdessen wickelte sie sich in ihren schweren Reiseumhang, denn die Nächte konnten um diese Jahreszeit auf dem Wasser recht kühl werden.
Erschöpft fiel sie sofort in einen tiefen und zum Glück traumlosen Schlaf und merkte nicht einmal, wie ihre Mitreisenden zu vorgerückter Stunde ebenfalls ihre Pritschen erklommen. Doch irgendwann in der Nacht fuhr sie erschreckt aus dem Schlaf. Ein lautes, metallisches Scheppern hatte sie
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