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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Kinn vorgereckt und die Arme in die Hüften gestemmt, als erwarte er Widerspruch. »Ich werde ihn suchen gehen«, erklärte er schlicht. Dann besann er sich ein wenig auf die Form und fügte hinzu: »Wenn es Euch recht ist.«
    Doch Fygen dachte gar nicht daran, ihm zu widersprechen. Ohne eine Sekunde zu zögern, antwortete sie: »Gut. Ich komme mit!«
    Eckerts massige Kinnlade klappte herunter. Diese Frau schaffte es immer wieder, ihn zu verblüffen. »Aber das geht doch nicht«, protestierte er. »Ihr könnt doch nicht …«
    Fygen ließ sich nicht beirren. Peter hatte die Reise viele Male unternommen, und wenn er nach London reisen konnte, warum nicht auch sie?
    »Natürlich kann ich«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Wie schnell können wir reisen?«
    Auch bei Katryn und Mertyn löste ihr Entschluss große Bestürzung aus. Trotz ihrer voranschreitenden Schwangerschaft erschien Katryn eigens im Haus Zum Rosenbaum, um Fygen diese Idee auszureden. Diesmal schienen Katryn die Umstände recht gut zu bekommen, stellte Fygen fest. Ihr Teint war rosig, ihre Gestalt war fülliger geworden, sie fühlte sich nicht leidend und hatte schon einen kleinen, kugeligen Bauch bekommen, den sie unter weiten Kleidern geziemend zu verbergen suchte. Kräftig sprach sie den köstlichen, honiggetränkten Küchlein und der gesüßten Milch zu, die Lena für sie bereitete. Fygen freute sich über den Besuch und nutzte die Gelegenheit, ausgiebig mit ihrer Freundin zu plaudern und ein wenig zu klatschen, doch von ihrem Entschluss ließ sie sich nicht abbringen.

    Die Sonne hatte sich bereits weit nach Westen vorgeschoben und ihre brennende Kraft für diesen Tag verloren, als ein besonders heftiges Rumpeln des Karrens Fygen auffahren ließ. Sie spähte über den breiten Rücken des Fuhrmanns hinweg und erkannte, dass dieser die Ochsen an den äußersten Rand des Fahrweges gelenkt hatte, um einem leeren Fuhrwerk auszuweichen, das ihnen entgegenkam. Überhaupt war nun mehr Betrieb auf der Straße. Menschen mit Ballen, Bündeln und Körben im Arm, kleine Karren, gezogen von Eseln oder Ochsen, und auch der ein oder andere Bewaffnete zu Pferd oder zu Fuß, in mehr oder weniger glanzvoller Uniform, kamen ihnen entgegen oder wichen ihrem behäbigen Gespann aus. Nicht mehr lange, und sie würden Neuss erreichen, die Stadt, die nun schon seit fast einem Jahr der Belagerung durch Karl von Burgund standhielt.
    Die Belagerung hatte sich zu einem zähen Ringen entwickelt, und weder die Belagerer noch die Einwohner hatten ernsthafte Vorteile für sich geltend machen können. Auch die Truppen unter Wilhelm von Aremberg und Johann von Gymnich, die Köln im Februar zur Unterstützung geschickt hatte, hatten keine Verschiebung der Kräfte zugunsten der Eingeschlossenen gebracht. Die Soldaten hatten auf dem gegenüberliegenden Rheinufer ihr sogenanntes Lager »Auf den Steinen« aufgeschlagen, doch auch sie hatten das Kriegsgeschick nicht zu wenden vermocht. Ebenso wenig zeigten bisher die von den Kölnern betriebenen diplomatischen Bestrebungen Erfolg. Man hatte sich an verschiedene auswärtige Städte und Fürsten, darunter auch Kaiser Friedrich III., gewandt. Heinrich vom Geisbüsch, einem kölnischen Bürger mit besonderem Weitblick und Verhandlungsgeschick, war es gelungen, eine Verbindung zwischen Friedrich und dem französischen König Ludwig XI. zustande zu bringen. Doch die diplomatischen Wege waren mühselig und langwierig. Kaiser Friedrich hatte zwar schon bald seine Hilfe zugesagt, war jedoch erst im März in der Stadt eingetroffen, und nun saß er untätig in Köln, anstatt weiter in Richtung Neuss zu ziehen, wie die Bürger es von ihm erhofften. Im Lager »Auf den Steinen« hatte sich ob dieser kaiserlichen Untätigkeit bereits eine allgemeine Demoralisierung breitgemacht, und man erzählte sich, es herrschten dort katastrophale Zustände.
    Der Betrieb auf der Straße wurde immer größer. Es hatte eher den Anschein, als näherten sie sich einer Stadt oder einem belebten Marktflecken als einem durch den Krieg gezeichneten Landstrich. Neugierig schirmte Fygen mit der Hand ihre Augen vor der Sonne ab und spähte nach vorn. Rechts der Straße konnte sie deutlich ein großes Gebäude erkennen, das sich hinter schweren Mauern inmitten von weiten Obstgärten ausdehnte.
    »Das Oberkloster«, erklärte die redselige Matrone Fygen bereitwillig. »Gott sei es gedankt, sie haben es nicht abreißen lassen. Hier hat der Herzog von Burgund mit seinem Stab und der

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