Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Ich weiß nicht, wie ich sie loswerden soll.« Hilflos rang Hilda die Hände. Das war ein ungewöhnlich wortreicher Ausbruch für die wortkarge Haushälterin, was Fygen denn auch dazu bewog, ihr zur Haustür zu folgen. Streng blickte sie die alte Frau an, die geduldig vor der Tür gewartet hatte. Mit den zotteligen Haaren, die ihr wirr unter der Haube hervorlugten, und dem schmutzigen, ausgefransten Rock und fleckigen Mieder sah sie aus wie eine ganz gewöhnliche beliebige Bettlerin, und zunächst hatte sie Lijse nicht erkannt. Doch dann blickte Lijse Fygen in die Augen und sagte: »Du bist erwachsen geworden, meine Kleine. Ich sehe, du hast deine Versprechen wahr gemacht und bist eine erfolgreiche Seidmacherin geworden.«
Und zu ihrem großen Entsetzen musste Hilda mit ansehen, wie ihre vornehme Dienstherrin plötzlich in Tränen ausbrach und dieser Bettlerin um den Hals fiel. Stumm drückte Fygen die Alte an sich, und als sie endlich wieder in der Lage war zu sprechen, brach es anstelle einer Begrüßung aus ihr hervor: »O Lijse, gut, dass du da bist! Ich bin schwanger.«
Lijse war bei ihnen geblieben, denn nach Mathys’ Tod hatte sie ihre Bleibe verloren und wusste nicht, wohin. In der Hoffnung auf eine Anstellung war sie nach Köln gekommen, doch die Zeiten nach dem Neusser Krieg waren nicht rosig, und sie hatte erleben müssen, dass niemand einer alten Frau Lohn und Brot gab. So war ihr nur geblieben, bettelnd durch die Straßen zu ziehen, und erst als sie gar keinen Ausweg mehr gesehen hatte, hatte sie sich dazu überwunden, ihr Ziehkind aufzusuchen.
Fygen war überglücklich, sie bei sich zu haben. Doch der Anfang war nicht leicht gewesen, denn Maren und vor allem Hilda hatten Lijse argwöhnisch belauert, fürchteten sie doch, dass die Ältere sie aufgrund ihrer jahrelangen Beziehung zu ihrer Dienstherrin verdrängen und um ihr Brot bringen würde. Doch das hatte sich gelegt, als Lijse nach Fygens Niederkunft begonnen hatte, sich um die kleine Sophie zu kümmern.
Gute Lijse. Für Fygens Töchter brachte sie noch mehr Geduld auf als dereinst für Fygen selbst. Vielleicht war sie mit den Jahren milder geworden, oder aber es lag daran, dass sie sich nun, von allen anderen Haushaltspflichten entbunden, ausschließlich den Kindern widmen konnte.
Auch mit Herman hatte Lijse ein gutes Händchen bewiesen. Schnell hatte sich der verträumte Junge an sie gewöhnt und sie in sein Herz geschlossen. Fygen bedauerte, dass Herman schon seit geraumer Zeit mittags nicht mehr mit ihnen zusammen aß, doch er besuchte die kirchliche Schule zu St. Alban und würde seine Mittagsmahlzeit dort gemeinsam mit seinen Kameraden einnehmen. Der Elfjährige war zu einem ruhigen, hoch aufgeschossenen Jungen herangewachsen, dem bereits die ersten Pickel auf den Wangen blühten. Als Sewis auch nach Jahren nicht zurückgekehrt war, hatten Peter und Fygen ihn offiziell als ihren eigenen Sohn angenommen.
In Johann Byrkens gediegenem Kontor brannte ein munteres Feuer im Kamin. Da die Seidmacherzunft immer noch nicht über ein eigenes Zunfthaus verfügte, tagte der Zunftvorstand weiterhin reihum in den Häusern der einzelnen Zunftmeister, und Byrken, der behäbige Seidhändler, war in diesem Jahr wieder zum Zunftmeister bestimmt worden, ebenso wie Mertyn Ime Hove. Fygen hätte es vorgezogen, wenn Peter an Mertyns Stelle mit ihr im Seidamt gesessen hätte, doch Eheleute durften nicht zur gleichen Zeit gewählt werden.
Wie immer wenn sie Katryns Mann traf, wunderte Fygen sich darüber, wie unverschämt anziehend er aussah, mit frischem Teint und dunklen, funkelnden Augen in dem ebenmäßig geschnittenen Gesicht. Die winzigen Fältchen in den Augenwinkeln und einige wenige Silberfäden in den lackschwarzen Haaren, Zeugnisse der Jahre, die andere Männer hätten älter aussehen lassen, wirkten bei ihm umso anziehender. Doch in letzter Zeit schien Mertyn ein Problem mit seiner Haut zu haben. Seine Stirn verunzierten unschöne, nässende rote Pusteln, und ein breiter Streifen Schorf kroch, ausgehend von einem Mundwinkel, seine Wange hinauf.
Als Fygen den mit gemütlichen, lederbezogenen Sesseln möblierten Raum betrat, musste sie ein Lächeln unterdrücken. Lange war es noch nicht her, dass sie selbst als junges Lehrmädchen hier in genau diesem Raum den Damen und Herren vom Seidamt gegenübergestanden hatte, damals, als Peter dafür gesorgt hatte, dass sie die alte Mettel verlassen und ihre Lehre bei Katryn beenden durfte. Und nun gehörte
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