Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Hand auf ihre magere Brust und sagte: »Von mir aus gerne, ich will dem armen Ding nicht im Wege stehen, ich gebe nur zu bedenken …« Hier versickerte ihre Stimme.
»Also gut. Das wäre geklärt«, schloss Byrken das Thema ab. »Kommen wir nun zum nächsten Punkt.«
Trude van Arnold legte den Kopf ein wenig schief und nahm sich einen Apfel aus der Schale auf dem Tisch. Byrken fuhr fort: »Die Seidmacherin Irma Bruwiler klagt, die Seidspinnerin Barbara Loubach vom Hühnermarkt hätte gute Rohseide, die sie ihr zum Spinnen gegeben hätte, veruntreut und ihr gesponnenes Garn abgeliefert, das aus minderwertiger Rohseide gefertigt sei.«
Gemurmel erhob sich in Byrkens Kontor. Veruntreuung von Rohseide war ein schweres Vergehen, das, wenn die Seide im Wert zwei Mark überstieg, den Ausschluss aus der Zunft zur Folge hatte.
Fygen war überrascht. Barbara Loubach arbeitete sehr sorgsam. Sie selbst gab Barbara seit Jahren einen nicht unerheblichen Teil ihrer Seide zu Spinnen, und nie war etwas in Unordnung, nie hatte auch nur ein Gramm gefehlt. Sie teilte den anderen ihr Erstaunen mit, und auch Mertyn, der wusste, dass Katryn Barbara Loubach ebenfalls Seide gab, konnte sich nicht erinnern, dass seine Frau je über eine Unregelmäßigkeit geklagt hätte.
Johann Byrken seufzte. »Wir werden der Sache dennoch auf den Grund gehen müssen. Es kann nicht angehen, dass eine Seidspinnerin Rohseide veruntreut.«
»Sehr richtig. Es ist wichtig, denen genau auf die Finger zu schauen«, ergänzte Trude van Arnold. »Wir Seidmacher müssen gegen die Spinnerinnen schon zusammenstehen. Sie nehmen sich sonst viel zu viel heraus.« Ihre überhebliche Miene ließ deutlich erkennen, wie sehr sie sich den Seidspinnerinnen überlegen fühlte und auf diese herabblickte.
Fygen sah das ganz anders. Oft waren es gerade die wohlhabenden Seidmacherinnen, die sich gegenüber den meist nicht sehr begüterten Seidspinnerinnen eine Menge herausnahmen, sie beispielsweise, obwohl es verboten war, mit Tuch oder Seide entlohnten, für das sie dann weniger Geld erhielten als den Lohn, der ihnen zustand.
Mertyn schien ähnlich zu denken, denn er sagte: »Mir kommt diese Angelegenheit doch sehr merkwürdig vor. Ich wäre dafür, die beiden Damen vorzuladen und die Angelegenheit bei der nächsten Sitzung mit ihnen zu erörtern. Dann werden wir schon herausfinden, was sich tatsächlich zugetragen hat.«
Sein Vorschlag fand Zustimmung, und man wandte sich dem nächsten Problem zu: Gertrud van der Sar hatte versäumt, eines ihrer Lehrmädchen innerhalb von zwei Wochen in das Lehrtöchterbuch eintragen zu lassen. Das war an sich kein Problem, die Eintragung konnte leicht nachgeholt werden. Doch war eine Unstimmigkeit über den Zeitpunkt entstanden, an dem das Mädchen seine Lehrzeit begonnen hatte.
»Der Fall ist doch ganz eindeutig«, ereiferte sich Trude van Arnold. »Meine Schwester wird schon wissen, wann das dumme Ding bei ihr angefangen hat zu lernen. Was soll die ganze Aufregung? Frau Lützenkirchen kann die Eintragung jetzt gleich vornehmen.«
»Nun, Frau van Arnold«, beschwichtigte Johann Byrken. »Es ist ja wirklich keine große Angelegenheit. Und es hat auch keine Eile. Ich denke, wir sollten bei der nächsten Sitzung mit Frau van der Sar sprechen. Sie soll das Lehrmädchen mitbringen.«
»Und vielleicht wäre es dienlich, wenn zudem noch eine weitere ihrer Lehrtöchter sie begleiten würde«, warf Fygen ein.
»Das ist unnötig«, maulte Trude van Arnold, doch Mertyn, Byrken und Fygen waren sich in der Angelegenheit einig, und so wurde eine entsprechende Nachricht an Frau van der Sar gesandt.
In dieser Art fuhren sie fort, über größere oder kleinere Unstimmigkeiten und Ärgernisse der Zunft zu beratschlagen, bis der Einbruch der Dunkelheit sie von ihren Pflichten entband. Doch als Fygen müde und erschöpft vom vielen Reden und Zuhören endlich nach Hause zurückkehrte, musste sie feststellen, dass damit die Sorgen des Tages noch nicht zu Ende waren.
Hilda fing sie an der Haustür ab und schob sie mit einem vielsagenden Blick in ihr Kontor. Der Raum hatte einen Kamin, der zu dieser Tageszeit selten geheizt war, doch heute schlug Fygen eine angenehme Wärme entgegen. Kerzen brannten auf ihrem Schreibpult, und zu ihrer großen Überraschung fand sie Katryn zusammengesunken in einem der großen Lehnsessel sitzen.
»Wie schön, dich zu sehen«, begrüßte Fygen die Freundin, doch ein Blick in Katryns Gesicht sagte ihr, dass es sich hier
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