Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
Vom Netzwerk:
sie selbst dem erlauchten Gremium an, das über das Wohl und Wehe der Zunft zu wachen und zu entscheiden hatte. Die zweite Amtsmeisterin neben Fygen war Trude van Arnold, die Schwester von Gertrud van der Sar, der dürren, verkniffenen Frau, die Fygen bei jener Vorstandssitzung eine Umschreibegebühr auferlegt hatte. Sie sah ihrer Schwester zum Verwechseln ähnlich, mit ihrer langen spitzen Nase, und die verdrießliche Miene schien auch auf ihrem Gesicht festgewachsen zu sein. Fygen vermutete zu Recht, es würde wenig Spaß machen, in einer Zunftangelegenheit anderer Meinung als Trude van Arnold zu sein.
    Auf dem Tisch stand ein kleiner Imbiss aus Brot, Wein und Äpfeln, der den Zunftmeistern zulasten der Zunftkasse kredenzt wurde. Gespannt zog Fygen sich einen der schweren Sessel näher ans Feuer und ließ sich hineinsinken. Johann Byrken, ganz der galante Gastgeber, schenkte aus einem Krug einen Becher Rotwein ein und reichte ihn ihr. Dann machte er sich an einer schweren, eisenbeschlagenen Kiste zu schaffen, die an der Kopfwand des Zimmers stand. Dies musste der Zunftschrijn sein, vermutete Fygen, die Kasse, in der das Geld und die wichtigsten Papiere der Zunft, allen voran natürlich die Zunftbriefe, aber auch das Lehrtöchterbuch und das Protokollbuch, verwahrt wurden. Byrken schlug den massiven Deckel auf und entnahm der Truhe einige gebundene Bögen, die er Fygen überreichte. Mit einem gutmütigen Zwinkern sagte er: »Frau Lützenkirchen, auf Euch als unser jüngstes Mitglied fällt die Pflicht des Protokolls.«
    Fygen schlug die Bögen auf, und als sie an das Ende der Aufzeichnungen ihres Vorgängers kam, hatte sie das Prinzip des Protokollbuches erfasst und verstanden, wo sie die Namen der Anwesenden, ihre Präsenzgelder, den Inhalt der Zunftkasse, die Aufwendungen für den Imbiss und sonstige Aufwendungen, meist kleinere Beträge für Botendienste oder Schreiber, zu verzeichnen hatte.
    Wie selbstverständlich übernahm Byrken sofort den Vorsitz. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich der Aufmerksamkeit aller Anwesenden und begann mit sonorer Stimme: »Nun, dann wollen wir sehen, dass wir die Zunft gut durch das Jahr bringen.« Er warf einen Blick auf eine Notiz, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Zunächst habe ich hier den Fall von der Seidmacherin Agnes Bruggen. Sie bittet die Damen und Herren vom Amt höflichst um ihre Wiederaufnahme in die Zunft der Seidmacher.«
    »Ja«, unterbrach ihn Trude van Arnold und reckte ihre spitze Nase vor. »Ich habe sie schon getroffen. Armes Ding.« Trudes Kopf schwankte mitleidig auf ihrem langen Hals hin und her. »Ihr ist der Mann weggestorben. Aber sie hat nun einmal die Stadt verlassen, um mit ihm nach Mainz zu gehen. Dachte wohl, dort lässt sich’s leichter Geld verdienen. Es war ihre eigene Entscheidung. Und so sind die Zunftregeln: Wer die Stadt verlässt, verliert das Zunftrecht und darf nicht wieder aufgenommen werden.« Ihre Stimme hatte etwas Hämisches angenommen, und die harten Worte straften ihre mitleidvolle Miene Lügen, stellte Fygen fest. Sie kannte Agnes Bruggen nicht, aber die Witwe tat ihr leid, und sie fand die Zunftregeln in diesem Fall doch sehr hart. »Können wir da nicht eine Ausnahme machen?«, fragte sie. »Sicher hat sich die arme Frau schrecklich einsam gefühlt, so allein in Mainz, ohne ihren Mann. Ich kann verstehen, dass sie zurück …«
    »Regel ist Regel«, schnitt Trude van Arnold ihr unhöflich das Wort ab. »Der Rat der Stadt hat sie nicht ohne Grund erlassen. Er wird auf ihre Einhaltung drängen.«
    »Ja, aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, was Zweck und Absicht dieser Regeln ist«, führte Johann Byrken bedächtig an. »Damit soll Sorge getragen werden, dass die Fertigkeiten und das Wissen um das Seidhandwerk hier in der Stadt angesiedelt bleiben.«
    »Soweit ich weiß, hat sie in Mainz das Seidhandwerk gar nicht ausgeübt, sondern im Handelsbetrieb ihres Mannes geholfen. Er war Faktor einer Handelsgesellschaft aus dem Süden«, führte Mertyn, der sich bisher zurückgehalten hatte, zu Agnes’ Gunsten an.
    Alle blickten nun Trude van Arnold an, und Byrken sagte: »Wenn Ihr damit einverstanden seid, wäre ich dafür, Agnes Bruggen wieder in die Zunft aufzunehmen, und sollte der Rat der Stadt etwas dagegen haben, so können wir uns immer noch mit den Herren auseinandersetzen. Vorläufig haben sie davon ja noch nicht einmal Kenntnis.«
    Mertyn und Fygen nickten, und nach einem Moment des Zögerns legte Trude eine

Weitere Kostenlose Bücher