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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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entgegen. Da der Seidenspinner beim Schlüpfen seinen Kokon und damit den kostbaren Faden zerstören würde, musste er abgetötet werden, bevor er sich daranmachen konnte, ein Loch in den Kokon zu bohren.
    Herman hatte hierfür große Siebe fertigen lassen, die nun, mit Kokons gefüllt, eines nach dem anderen auf Töpfe mit kochendem Wasser gesetzt wurde, so dass der aufsteigende heiße Wasserdampf die Raupen rasch und zuverlässig tötete, ohne die Kokons zu beschädigen oder zu verschmutzen.
    Fygen taten die Tiere leid, die sie wochenlang so fleißig gefüttert hatte, und sie zwang sich, an diejenigen zu denken, die in wenigen Tagen eine neue Generation Seidenraupen zur Welt bringen würden.
    Doch bis es so weit war, blieb noch eine Menge zu tun. Der Schuppen musste gereinigt, einige der Hürden neu mit Gaze bezogen und vor allem die drei anderen Aufzuchtsschuppen, die Herman gleich dem ersten ausgestattet hatte, vorbereitet werden, damit sie die nächste Generation aufnehmen konnten. Zugleich gab Herman, beflügelt von seinem Erfolg, einigen Schreinerleuten den Auftrag, vier weitere Schuppen hinter den ersten zu bauen.
    Und dann endlich war es so weit. Eines Morgens, als Fygen und Herman den Schuppen betraten, summte es hinter den zeltförmig angebrachten Gazebahnen, in denen sie den Kokons ein begrenztes Heim geschaffen hatten. Immer wieder klatschte etwas gegen die Bahnen, das Summen wurde lauter, vielstimmiger. Fygen brachte ihre Augen ganz nahe an die Gaze heran, um beobachten zu können, wie die fertigen Seidenspinner sich durch ihre Hüllen fraßen. Zunächst sah sie an dem spitzen Ende des Kokons nur ein winziges Loch in der seidenen Hülle, das größer und größer wurde, bis sich schließlich das verknitterte Tier durch die Öffnung schob. Es war schmutzig weiß und erstaunlich groß, fast so lang wie ihr Finger. Der Seidenspinner öffnete seine beim Schlüpfen noch weichen und zusammengefalteten Flügel, und sobald diese sich gehärtet hatten, machte er sich auf die Suche nach einer Gefährtin, um sich zu paaren.
    Das Summen hinter den Bahnen wurde lauter, als mehr und mehr Seidenspinner begannen, durcheinander zu fliegen. Wie ein Heuschreckenschwarm mutete es Fygen an. Tausende von paarungswilligen Tieren, nur zu einem in der Lage: sich zu vermehren.
    »In diesem Zustand können sie nicht einmal Nahrung aufnehmen«, erklärte Herman.
    Der Hochzeitstanz der Seidenspinner dauerte eine geraume Weile. Dann legten die Weibchen ihre Eier ab, und bald darauf wurde es still hinter den Gazebahnen. Eine Generation Seidenspinner hatte ihre Aufgabe erfüllt, ihr Leben an die folgende Generation weiterzugeben, und schickte sich an zu erlöschen.

7. Kapitel
    S ehr zu ihrem Missfallen hatte Fygen wegen des Empfangs heute ihre Arbeit ein wenig früher beenden müssen. Es dämmerte bereits, und man merkte deutlich, dass die Tage kürzer wurden. Sie hatte soeben das zimtfarbene Unterkleid übergestreift und war dabei, den fließenden Rock glatt zu streichen, als sie in der Stille des Abends ein Klopfen vernahm. Laut drang es vom Tor durch ihr offenes Kammerfenster herauf. Einen unsinnigen Moment lang hoffte sie, dass der Besucher oder die Nachricht, die er überbrachte, sie daran hindern würde, zu diesem Empfang zu gehen.
    Fygen nahm ihr senfgelbes, samtenes Oberkleid vom Haken. Es war nach der allerneuesten Mode knapp unter der Brust tailliert, hatte einen eckigen Ausschnitt, gerüschte Ärmel und war oberhalb des Saumes mit schwarzer Stickerei geschmückt. Als besondere Raffinesse hatte das schwarze Mieder Schlitze, die senkrecht über die Brust liefen, so dass die gelbe Seide des Unterkleides hervorblitzte.
    Während sie in die schwere, samtene Flut stieg, spitzte sie aufmerksam die Ohren, um herauszufinden, wer der späte Besucher war. Doch sie brauchte sich nicht anzustrengen. Schon erkannte sie Marens schwerfälligen, watschelnden Gang auf der Treppe, und kurz darauf klopfte die Magd an die Kammertür.
    »Da ist die Frau Loubach für Euch«, verkündete Maren unmelodisch und laut genug, dass Fygen es problemlos durch die geschlossene Tür hören konnte.
    Natürlich, Barbara Loubach. An die Seidspinnerin, die jeden Monat kam, um den Lohn für sich und ihre Mädchen in Empfang zu nehmen, hatte sie gar nicht mehr gedacht.
    »Führe sie in mein Kontor«, rief Fygen, »ich komme sofort.« Mit dem Fuß angelte sie nach ihren feinen, seidenen Schuhen und beeilte sich, die Treppe hinabzusteigen.
    »Wie elegant du

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