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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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wenig verrückt? In jedem Fall verspürte sie wenig Lust darauf, ihm wiederzubegegnen, doch das würde sich heute Abend kaum vermeiden lassen.
    Der Kaiserliche Hof, wie die Kölnischen ihn nannten, war festlich erleuchtet. Aus allen Fenstern leuchtete das Licht der Kerzen in die Nacht hinaus. Fackeln wiesen Fygen und Peter den Weg über den Hof zum Hauptportal, als sie, nur ein klein wenig verspätet, am Neumarkt eintrafen.
    Kaum hatten sie den weitläufigen Saal im Obergeschoss des Querflügels betreten, als Peter auch schon von Hermann van der Sar und Johann Byrken mit Beschlag belegt wurde. Dankbar nahm Fygen den Becher mit Wein an, den ein uniformierter Bediensteter ihr reichte, und schaute sich um. Dieser Saal war, wenn das überhaupt möglich war, noch kostbarer ausgestattet als der, in dem Hackenay sie einst empfangen hatte. Prachtvolle Tapisserien und üppige Fensterkleider aus schwerem Brokat nahmen dem hohen Raum den Schall und verbreiteten eine gediegene Atmosphäre. Das Licht unzählbarer, vielarmiger Silberleuchter schmeichelte den Gästen, und in den ausladenden Kaminen brannten zur Feier des Tages die ersten Feuer, obwohl es noch nicht wirklich kalt geworden war. Neben einem dieser Kamine, dessen steinerner Sims kunstvoll gearbeitet das kaiserliche Wappen trug, entdeckte Fygen ihre Freundin Katryn, die trotz der Wärme im Saal einen wollenen Schal um die Schultern trug. Seit Mertyns Tod schien sie ständig zu frösteln. Sie freute sich sichtlich, Fygen zu sehen, doch bevor Fygen ihr von Barbara und ihren Befürchtungen berichten konnte, stieß Katryn sie mit dem Ellenbogen an. Verstohlen deutete sie mit dem Kinn auf eine große massige Gestalt, die zu allem Unglück auch noch durch ihr zu grelles, fliederfarbenes Kleid auffiel. »Wie mag deine Base Grete wohl an eine Einladung gekommen sein?«, fragte sie verwundert.
    »Vielleicht hat sie einen wohlhabenden Witwer umgarnt, sie zu seiner Begleitung auszuerwählen«, antwortete Fygen. »Fragen wir sie doch einfach«, fügte sie mit funkelnden Augen hinzu, fasste Katryn beim Arm und zog sie mit sich.
    Als sie Grete beinahe erreicht hatten, kreuzte jedoch der Hausherr ihren Weg.
    »Guten Abend, Frau Lützenkirchen«, grüßte er freundlich, und während sie ihn ebenfalls begrüßte und ihm Katryn vorstellte, ließ er seinen Blick wohlgefällig über ihren Körper schweifen. Manche Männer verstehen es nicht anders, dachte Fygen, als sich seine goldfarbenen Augen an ihrem Dekolleté festsaugten. Stimmte etwas nicht mit ihrem Ausschnitt? Zu freizügig war er sicher nicht geschnitten, da gab es weitaus Mutigere unter den Damen der Stadt. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass ihre Base Grete sich ihnen just in diesem Moment zuwandte und das Geschehen interessiert verfolgte.
    Wieder zeigte sich auf Hackenays Gesicht dieses Erschrecken, das sie auch bei ihrer ersten Begegnung in Erstaunen versetzt hatte, und es schien Fygen, als hätte sein Gesicht plötzlich alle Farbe verloren.
    »Irma!«, brachte er tonlos hervor. Er deutete mit ausgestrecktem Finger auf die Anstecknadel an Fygens Ausschnitt. »Woher habt Ihr diesen Schmuck?«, fragte er ein wenig schroff.
    Fygen folgte Hackenays Blick, der nach wie vor unverwandt auf ihre Brust geheftet war. »Er gehörte meiner Mutter«, erklärte Fygen. »Er ist das Einzige, was mir von ihr geblieben ist, als sie starb.«
    »Ihr seid Irmas Tochter?« Hackenays Worte waren Frage und Feststellung zugleich.
    Fygen nickte.
    »Ich habe ihn ihr geschenkt«, sagte er leise, seine Stimme wurde weich, und die folgenden Worte flüsterte er, als seien sie nur für ihn selbst bestimmt: »Vor sehr langer Zeit. Sie trug mein Kind …«
    Fygen glaubte, sich verhört zu haben, und starrte den alten Herrn sprachlos an. Nikasius hatte ihre Mutter gekannt. Hatte sie, Fygen, zunächst mit ihr verwechselt. Doch seine Worte konnten sicher nicht ernst gemeint sein. Wie sollte ihre Mutter sein Kind …
    Fygen spürte Nikasius’ forschenden Blick auf ihrem Gesicht. Er schien es zu studieren, als sähe er es zum ersten Mal. Seine ernsthafte Miene bekräftigte die Wahrhaftigkeit seiner verblüffenden Worte, doch nur mühsam vermochte Fygen ihnen einen Sinn zu entlocken. Dann plötzlich drangen die Worte ihres Oheims aus den Tiefen ihres Bewusstseins an die Oberfläche. »… eine Hure, wie deine Mutter …«
    Ihre Mutter sollte eine Liebelei mit des Kaisers Rechenmeister gehabt haben? Das war doch völlig …
    Wie festgewurzelt stand Fygen da

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