Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
aussiehst«, sagte Barbara und ließ bewundernd ihren Blick über die samtene Pracht wandern. »So kenne ich dich kaum.«
»So lässt es sich auch schlecht arbeiten«, gab Fygen zurück, und Barbara musste lachen. Doch dann wurde ihr Gesicht abrupt wieder ernst, und zwischen den Augen bildete sich eine steile Sorgenfalte. Etwas schien die Seidspinnerin sehr zu bedrücken. Fygen wandte sich ab, öffnete mit einem kleinen Schlüssel ihre Schatulle und klappte den Deckel hoch. Dann entnahm sie der kleinen Truhe einen vorbereiteten Leinenbeutel mit Münzen und reichte ihn Barbara. Die ließ ihn, ohne nachzuzählen, in ihrem Mieder verschwinden. So viele Jahre arbeiteten sie nun schon zusammen, und immer hatten Fygens Zahlungen auf den Pfennig genau gestimmt. »Danke«, sagte sie abwesend, und Fygen klappte die Schatulle wieder zu und verschloss sie sorgfältig.
»Was bedrückt dich?«, fragte sie rundheraus.
Barbara seufzte. »Ich mache mir Sorgen«, erklärte sie. »Die Seidspinnerinnen sind aufgebracht. Bei vielen gehen die Geschäfte nicht so gut, wie sie es sich wünschen. Und statt sich an die eigene Nase zu fassen, suchen sie wie immer nach jemand anderem, der daran die Schuld trägt.«
»Lass mich raten. Das sind wieder einmal die Beginen?«
»Ja. Die Seidspinnerinnen haben den Rat dazu überredet, den Beginen das Verspinnen von Seide ganz zu untersagen …«
»… doch die halten sich nicht daran«, ergänzte Fygen.
»Natürlich nicht. Wovon sollen sie auch leben? Es wird ihnen ja alles immer schwerer gemacht. Ich habe Angst, dass etwas geschieht. Etwas Schlimmes.«
»Du glaubst, die Seidspinnerinnen gehen gewaltsam gegen die frommen Frauen vor? Das kann ich mir nicht vorstellen. Bisher blieb es immer dabei, dass ein paar Webstühle konfisziert wurden oder etwas Rohseide. Aber niemand könnte doch so weit gehen, den Beginen etwas zuleide zu tun.«
»Du magst recht haben. Vielleicht mache ich mir zu große Sorgen. Aber lass dir durch meine Befürchtungen nicht den Abend verderben. Wahrscheinlich sehe ich auch alles nur zu schwarz.«
Als Fygen Barbara verabschiedet hatte und wieder die Treppe zu ihrer Kammer emporstieg, um sich fertig anzukleiden, hatte ein ungutes Gefühl auch von ihr Besitz ergriffen. In jedem Fall würde sie gleich am Morgen jemand zu Hylgen in den Annenkonvent schicken, um sie zu warnen. Man konnte ja nie wissen, wozu erzürnte Menschen fähig waren.
Sie musste sich sputen. Hastig kramte sie ihre Schmuckschatulle hervor und nestelte an dem Verschluss. Doch das Schloss widersetzte sich vehement ihren fahrigen Versuchen, es zu öffnen. Fygen zog heftig an dem mit feinen Einlegearbeiten verzierten Deckel, doch dabei rutschte ihr der ganze Kasten aus den Händen und landete mit einem Krachen auf dem Boden. Die Schatulle sprang auf, und der kostbare Inhalt verteilte sich auf den Dielen. Ein kleiner leinener Beutel kam vor ihren Fußspitzen zu liegen. Fygen hob ihn auf. Das Leinen war fleckig und der Lederriemen, der es verschloss, rauh und vom Alter brüchig geworden. Vorsichtig öffnete Fygen den Beutel und ließ den Inhalt auf ihre Handfläche gleiten. Zum Vorschein kam eine fein ziselierte silberne Anstecknadel, das fremdländisch aussehende Schmuckstück, das einst ihrer Mutter gehört hatte. Nur einmal hatte sie die Brosche getragen, zu ihres Vaters Beisetzung. Sie erinnerte sich, wie Dörte, Vaters Haushälterin, sie ihr an jenem traurigen Tag angesteckt hatte. Sanft strich Fygen mit dem Finger über die gelb-schwarzen Steine. Sie würden farblich hervorragend zu ihrem Kleid passen. Seltsam, dass der Schmuck ihr just heute geradewegs vor die Füße gefallen war. Vorsichtig befestigte sie ihn am Rande ihres Ausschnittes.
Als sie wenig später an Peters Arm in Richtung Neumarkt ging, war Fygen sich nicht sicher, ob das ungute Gefühl, das sich in ihr festgesetzt hatte, ausschließlich mit den Beginen zusammenhing oder ob der bevorstehende Empfang einen Gutteil dazu beitrug.
Es war nicht irgendeine Einladung. Der Hof- und Rechenmeister Kaiser Maximilians, Nikasius Hackenay persönlich, hatte die Honoratioren der Stadt zum Empfang gebeten. Es war eine besondere Ehre, zu den Geladenen zu gehören, jedoch eine, auf die Fygen gerne hätte verzichten mögen. Sie hatte ihre seltsame Begegnung mit Hackenay vor gut zwei Jahren nicht vergessen. Bis heute war sie nicht darauf gekommen, an wen er sie erinnerte. Und wen oder was er wohl in ihr gesehen haben mochte? Oder war er nur einfach ein
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