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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Unterseite des Korbes und hob diesen wieder auf. Sanft rieselte der Unrat in einem feinen Strahl zu Boden.
    »Was soll das werden?«, fragte Fygen. »So rinnt ja der ganze Dreck auf die Straße.«
    »Das hast du aber fein beobachtet«, spottete Sewis. »Genau das ist der Sinn der Sache. So wird der Korb schnell leichter. Meinst du, ich schleppe das ganze Zeug bis zum Graben?«
    »Ja«, antwortete Fygen und rümpfte die Nase. »Und wenn alle so bequem sind wie du, dann werden diese widerlich dreckigen Straßen immer schmutziger.« Wie um ihren Worten Ausdruck zu verleihen, scharrte ein Stück neben ihnen ein Hausschwein in der dreckigen Abfallrinne den Unrat auf, und übler Gestank wehte zu ihnen herüber.

9. Kapitel
    H e, du, bleib doch mal stehen!«
    Fygen reagierte nicht. Sie schob sich eine widerspenstige Locke unter die Haube und ging weiter.
    Nach der Messe in St. Brigida war Fygen, kaum war das letzte Amen verklungen, aus der Bank aufgesprungen und, so schnell es der Anstand zuließ, zum Kirchenportal geeilt. Mit einem kurzen Blick über die Schulter hatte sie sich vergewissert, dass Grete nicht hinter ihr war. Hastig wandte sie sich nach links, lief die Lintgasse hinab und dem Rheinufer zu, genau entgegengesetzt der Richtung, in der das Elnersche Haus lag. Der Geruch von Fisch, mit dem hier unter der Woche gehandelt wurde, hing immer noch zwischen den Häusern. Auf eine Wiederholung des letzten Sonntags war Fygen wirklich nicht erpicht, deshalb zog sie es vor, sich nach der Kirche einfach aus dem Staub zu machen.
    »He, warte doch mal!« Eine sich in der Höhe überschlagende und dann fast männlich tiefe Stimme rief hinter ihr her. Das war nicht Grete, die da rief, erkannte Fygen und drehte den Kopf. Hinter ihr winkte ein junger Bursche mit strubbeligen braunen Haaren. Es war einer der Jungen, mit denen die Mädchen vergangene Woche vor der Kirche gescherzt hatten. Fygen bog links in den Fischmarkt ein und verlangsamte ihren Schritt. Der Fischgeruch war hier zwar noch schlimmer, doch sie war erst einmal vor Gretes Blicken sicher.
    Wenige Sekunden später hatte der Bursche sie schnaufend eingeholt und ging neben ihr her. Er war schlaksig und überragte Fygen um einen knappen Kopf. Sein schmales Gesicht wurde von dicken roten Pickeln verunziert.
    »Was fängst du heute mit deinem freien Tag an? Gehst du deine Familie besuchen?«, wollte er wissen. Ein leichter Sprühregen von Spucke ging auf Fygen nieder, als er sprach, und angewidert starrte sie auf die gelben Eiterstippen auf den Pickeln in seinem Gesicht.
    »Ich möchte mir die Stadt ansehen«, antwortete sie abweisend. Mit einem Schritt vergrößerte Fygen den Abstand zwischen ihm und sich.
    »Du möchtest was?«
    »Mir die Stadt ansehen. Ich bin nicht aus Köln und kenne mich hier noch nicht aus. Und deshalb möchte ich mir alles anschauen.«
    »Aber niemand läuft einfach so zum Vergnügen durch die Stadt.«
    »Ich schon.«
    »Nun, wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich gerne begleiten«, sagte er zögerlich.
    Fygens erste Reaktion war, ihn dorthin zu schicken, von wo er gekommen war, doch nach einem Blick in seine sanften, bittenden braunen Augen brachte sie es nicht über das Herz, ihn so schroff abzuweisen. Mit mehr Freude in der Stimme, als sie wirklich empfand, sagte sie: »Fein. Einen ortskundigen Führer kann ich gut gebrauchen.«
    »Oh, äh, schön«, stotterte er beinahe überrascht, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie einwilligen könnte. Seine Ohren färbten sich schlagartig rot, und ungelenk klappte er den langen Oberkörper zu einer Verbeugung nach unten. »Rudolf van Bensberg. Was willst du zuerst sehen?«, fragte er eifrig.
    »Den Dombau natürlich, und ich heiße Fygen.«
    Sie hatten die nächste Straßenecke erreicht und bogen links in die Mühlengasse ein.
    »Fygen«, wiederholte er. »Fygen Honigauge.«
    Bereits wenige Minuten später betraten sie von Westen her den Domhof. Riesenhaft erhob sich vor ihnen das unvollendete Bauwerk. Sprachlos vor Erstaunen bog Fygen den Kopf in den Nacken und blickte an den wundervoll verzierten Mauern nach oben. Der unfertige Südturm war bis auf fast zweihundert Fuß hochgezogen worden und schien geradewegs in den Himmel zu wachsen. Gekrönt wurde er von einem hölzernen Baukran. Unvorstellbar, dass er noch höher werden sollte. Fygen wurde es beinahe schwindelig, deshalb trat sie ein Stück zurück und betrachtete die kunstvoll geschmückten Strebpfeiler des Chores, welche die

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