Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Schussfaden ab und verknoteten jeweils einige Fäden miteinander, damit sich das Gewebe nicht mehr auflösen konnte. Dann wickelten sie den feinen Stoff vom Warenbaum ab und um ein schmales Holzbrettchen herum zu einem Ballen auf, um auch die Fäden am anderen Ende des Tuches verknoten zu können. Die Seide war überaus ebenmäßig gewebt, stellte Fygen bewundernd fest, in der Breite ganz gleichmäßig, und an keiner Stelle eingesprungen. Zum Schluss schlugen Hylgen und Fygen den Ballen zum Schutz in ein Leinentuch ein und legten ihn in ein Regal an der Kopfseite der Werkstatt.
Jetzt mussten nur noch die Fadenreste vom Kett- und Warenbaum entfernt werden, und die Mädchen konnten sich daranmachen, den Webstuhl aufs Neue zu bespannen. Eine Zeit lang arbeiteten sie still und konzentriert, bis Grete sich von ihrem Webstuhl erhob. »Ich muss doch mal sehen, ob Mutter mich braucht«, murmelte sie und verschwand eiligst in Richtung Wohnhaus.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, ließen die Mädchen ihre Arbeit sinken, als hätten sie nur auf diesen Moment gewartet.
Sewis rief Grete halblaut ein »Mahlzeit!« hinterher, und Fygen blickte sie erstaunt an.
»Nun weißt du, warum sie so fett ist«, sagte Katryn belustigt und erhob sich von ihrer Bank. »Komm her.« Sie winkte das Mädchen zu sich und schob sie zu Gretes Webstuhl. »Du willst es doch ausprobieren, nicht wahr?«
»Aber geht das denn? Wird Grete nicht fuchsteufelswild, wenn sie merkt, dass ich an ihrem Webstuhl …«
»Sie wird es nicht merken«, versicherte Katryn. »Sieh dir das Gewebe an, schlechter kannst du es auch nicht machen.«
Das war zwar ein wenig übertrieben, aber in der Tat stellte Fygen fest, dass der Stoff bei weitem nicht so ebenmäßig gearbeitet war wie Katryns und die Ränder an manchen Stellen leichte Wellen warfen.
»Das liegt daran, dass sie die Kammlade nicht fest genug anzieht«, erklärte Katryn. »Los, setz dich und versuche es.«
Es war ein erhabenes Gefühl, als Fygen auf der Bank Platz nahm, und sie lächelte strahlend. »Was muss ich tun?«, fragte sie eifrig.
Katryn nahm das Schiffchen, das auf dem fertigen Gewebestreifen lag, und drückt es Fygen in die Hand. »Jetzt musst du ein Stück Faden abziehen. So«, erklärte sie und führte Fygens Hand ein Stück weit von ihrer Brust weg. Sofort wickelte sich etwas Garn von der Spule. »Jetzt trittst du das linke Pedal.« Fygen suchte einen Moment mit dem Fuß, bis sie es gefunden hatte, und trat auf das hölzerne Pedal. Sofort hob sich jeder zweite der gespannten Kettfäden. »Dann führst du das Schiffchen hier durch das Fach«, fuhr Katryn fort. Vor Konzentration hielt Fygen die Luft an und ließ mit etwas Schwung das Holzstück zwischen den Fäden hindurchgleiten. Am Ende der Kettfäden blieb es liegen.
»Gut so«, lobte Katryn. »Jetzt zieh es vorsichtig heraus, aber achte darauf, dass du dabei den Faden am Anfang nicht zu sehr ziehst, sonst springt der Stoff am Rand ein. Am besten, du hältst den Faden am Anfang mit der rechten Hand fest.«
Fygen tat wie ihr geheißen, und Katryn nickte zufrieden. »Nun lass das Pedal los. Zieh die Kammlade an und schlag den Schussfaden möglichst gerade an, sonst wird das Gewebe schief.« Fygen befolgte genau ihre Anweisungen.
»Gut, jetzt versuch es selbst. Tritt das zweite Pedal.«
Fygen probierte es allein, und mit jeder Reihe wurden ihre Bewegungen sicherer.
»Du machst das gut, und mit der Übung kommt später auch die Gleichmäßigkeit«, ermunterte Katryn sie.
»Achtung, sie kommt«, warnte Sewis, und alle hasteten an ihre Arbeit. In der Eile schaffte Fygen es nicht so schnell, aus dem Webstuhl zu kommen. Ihr Rock verfing sich im Gestänge unter dem Rahmen, und sie schlug der Länge nach hin.
»Was hast du unter meinem Webstuhl zu suchen?«, bellte Grete sie an. »Mach dich lieber nützlich. Du und Sewis, ihr bringt jetzt den Dreck weg«, befahl sie barsch und wies auf einen Haufen Kehricht, durchsetzt von Staubflocken und Garnresten.
Kurz darauf füllten Sewis und Fygen mit einer Schaufel Kehricht in zwei große Abfallkörbe.
»Vielen Dank auch«, zischte Sewis Fygen zu, die hübsche Nase missbilligend gerümpft.
Entschuldigend zuckte Fygen mit den Schultern und hob einen der schweren Körbe auf.
Kaum waren sie in der Gasse um die nächste Ecke gebogen, als Sewis ihre Last absetzte und sich am Boden ihres Korbes zu schaffen machte. Mit dem Nagel des Zeigefingers bohrte sie an einer Ecke ein Loch in die
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