Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
peinlich, und sofort färbte sich ihr Gesicht vor Scham hochrot, doch dann brach sie in lautes Gelächter aus.
»Meinen Eltern gehört der Weinzapf«, erklärte Rudolf breit grinsend, weil es ihm gelungen war, Fygen wieder hinters Licht zu führen. »Aber so war das Essen viel spannender, nicht?«
Der Drallen, die sich bereits umgedreht hatte, um zum Haus zurückzukehren, rief er nach: »Sag Mutter, dass ich gleich komme.« Und zu Fygen gewandt, sagte er: »Ich befürchte, dass unsere Stadtführung nun endet. Sonntags ist meist viel zu tun im Geschäft. Komm, ich bringe dich noch nach Hause.«
Fygen hatte an diesem Sonntag wirklich Glück. Nicht nur dass es einer der vergnüglichsten Tage der letzten Zeit gewesen war. Als sie in das Elnersche Haus zurückkehrte, empfing Mettel sie zwar mit den obligatorischen zwei Ohrfeigen, doch so recht war sie nicht bei der Sache. Sie und Grete schienen es eilig zu haben. Ausgehbereit waren sie in ihren Sonntagsstaat gekleidet, mit adretten Hauben und schmal geschnürten Miedern. Doch zumindest bei Grete betonte dies die männlich breiten Schultern besonders unvorteilhaft und gemahnte an eine Presswurst, fand Fygen.
»Wo warst du den ganzen Tag?«, wetterte Mettel halbherzig. »Ich bin dafür verantwortlich …«
Angestachelt durch die ausgelassene Stimmung des Vormittages ergänzte Fygen frech ihren Satz: »… dass meine Lehrmädchen sich nicht herumtreiben.«
Und schon fing sie sich eine weitere Ohrfeige. »Du freches Stück, sieh zu, dass du mir aus den Augen gehst.«
Das ließ Fygen sich nicht noch einmal sagen und verschwand eilig in Richtung Werkstatt. Für ihren Geschmack war sie mit drei Ohrfeigen wirklich gut davongekommen.
10. Kapitel
F ygen bahnte sich unter Einsatz ihrer spitzen Ellenbogen einen Weg durch die Menge. Unzählige Menschen schoben und zwängten sich durch die schmalen Gassen zwischen den Ständen und Tischen der Händler hindurch. Manche der ärmeren Kaufleute, vor allem die Obst- und Gemüsebauern aus dem Vorgebirge, boten ihre Waren auf Kisten oder direkt aus Körben an, die vor ihnen im Staub standen. Es war immer noch heiß, denn der Sommer schien in diesem Jahr kein Ende zu nehmen. Von den dichtgedrängten Körpern stieg Fygen der unangenehme Geruch nach Schweiß und ungewaschenen Leibern in die Nase. Es war ein mühsames Unterfangen, mit vier Stoffballen beladen einen Weg durch die Menschenmassen zu suchen. Und sosehr sie sich auch bemühte, Fygen konnte es nicht verhindern, den einen oder anderen Marktbesucher versehentlich anzustoßen, und fing sich mehrmals wütende Beschimpfungen und böse Blicke ein.
Vor ihr blieben die Leute stehen, und Fygen rammte einem älteren Mann aus Versehen das Ende eines der Stoffballen in den Rücken.
»He, du! Pass doch auf.«
Der große, breite Mann mit spärlichem Haarwuchs und vor Hitze rot angelaufenem Gesicht drehte sich abrupt um, und mit seiner Leibesfülle schlug er Fygen die Seidenballen aus der Hand. Voller Entsetzen bückte sich das Mädchen und versuchte, die kostbaren Stoffe zwischen den Füßen der Marktbesucher wieder aufzuheben. Hastig mühte sie sich ab, den Schmutz von den Leinenhüllen abzuklopfen. Zum Glück hatte sie die kostbare Seide zum Schutz vor dem Staub und Dreck auf dem Markt in leinenes Tuch gehüllt, bevor sie sich auf den Weg zum Seidkaufhaus gemacht hatte.
Am frühen Nachmittag war Grete von einer ihrer heimlichen Zwischenmahlzeiten, von denen sie annahm, dass keiner davon wüsste, zurück in die Werkstatt gekommen. Herrisch hatte sie befohlen, dass eines der Lehrmädchen die Ballen zu Mettel zu bringen habe, der beim Verkaufen die Ware ausgegangen war. Gretes Tuch war fast fertiggestellt, der dritte Webstuhl aber noch nicht vollständig aufgeschert. So war bei dieser Arbeit Eile geboten, was Sewis und Hylgen einen guten Grund lieferte, sich vor der ungeliebten Schlepperei in der Hitze zu drücken. So fiel Gretes Wahl auf Fygen, die ihrerseits nichts dagegen hatte, endlich das Seidkaufhaus Unter Riemenschneider zu sehen, auf das sie schon seit langem neugierig war.
Ganz ließen sich die Schmutzspuren nicht abwischen. Die Ballen sahen schmuddelig und unansehnlich aus, stellte Fygen betroffen fest. Und das, obwohl Grete ihr eingeschärft hatte, besonders gut auf die wertvolle Seide achtzugeben. Gott sei Dank, dass es wenigstens trocken war, dachte Fygen. Nässe und Matsch hätten den Stoff mit Sicherheit völlig ruiniert. Doch Mettel würde ihr auch so schon gehörig
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