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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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zusetzen, wenn sie mit den ramponierten Stoffen bei ihr einträfe.
    Sie hatte sich die Ballen gerade wieder fest unter den Arm geklemmt, als neben ihr ein Tumult ausbrach.
    »Betrug! Diese Händlerin versucht zu betrügen!«, keifte eine schrille Stimme direkt in Fygens Ohr. »Ergreift sie. Sie hat Sand unter den Pfeffer gemischt.«
    »Das ist eine Lüge. Eine infame Lüge. Gar nichts habe ich in den Pfeffer gemischt. Ihr versucht nur, den Preis zu drücken«, schnappte die Händlerin zurück, eine ältliche Matrone mit fleckigem Mieder und abgetragenem Rock.
    »Ruft den Marktaufseher«, keifte die schrille Stimme wieder, und Fygen erkannte, dass sie zu einer hageren Frau in mittleren Jahren gehörte, die einen Henkelkorb über dem Arm trug. Auf ihr Geschrei hin sprangen zwei junge Burschen herbei, packten die Händlerin bei den Armen und hielten sie fest, damit sie nicht ihr Heil in der Flucht suchen konnte.
    »Lasst mich los, ich bin unschuldig. Ganz unschuldig«, beteuerte die Händlerin.
    Der unfreundliche, rotgesichtige Mann vor Fygen brummte: »Das werden wir ja sehen.«
    Um die Streitenden hatte sich eine Gruppe aus Schaulustigen gebildet, und für Fygen gab es kein Vor oder Zurück mehr. Eingekeilt in die Menge wartete sie ab, wie sich der Streit entwickeln würde.
    Irgendwann drang endlich der Marktaufseher zum Ort des Geschehens vor. Trotz der Wärme trug er seinen offiziellen Mantel und Hut als Ausdruck der Würde seines Amtes. Kaum wurde sie seiner gewahr, als die magere Frau auch schon geifernd ihre Beschwerde vorbrachte, immer wieder wortreich unterbrochen durch die Händlerin, die sich zu verteidigen suchte. Als die Dürre anhob, zum dritten Mal ihr Leid zu klagen, hob der Marktaufseher gebieterisch die Hand und hieß sie zu schweigen. Gleichzeitig verstummte auch das Geschwätz der Umstehenden, und eine gespannte Stille machte sich breit. Gewichtigen Schrittes trat er an den Stand heran, befeuchtete seinen Zeigefinger mit Speichel und tippte ihn in den Haufen Pfeffer, der in einem Korb aufgeschüttet war. Dann steckte er den Finger in den Mund und kostete. Es knirschte, als er auf den Pfeffer biss, und angewidert verzog er das Gesicht. Die Händlerin hatte also tatsächlich versucht, den kostbaren Pfeffer mit gewöhnlichem Sand zu strecken, um einen besseren Schnitt zu machen. Auf sein Zeichen hin packten die Burschen die Händlerin fester und zerrten sie unter den spöttischen Blicken der Umstehenden hinter dem Aufseher her zur Mitte des Platzes, wo der Kacks stand. Johlender Hohn scholl ihr von den Marktbesuchern entgegen, als sie in den hölzernen Käfig gesperrt wurde. Fygen hatte nicht erwartet, den Pranger so schnell in Gebrauch zu erleben. Für die nächste Zeit war der Ruf der Händlerin als ehrbare Kauffrau mit Sicherheit ziemlich ramponiert, vermutete sie.
    Endlich hatte Fygen ihr Ziel erreicht und trat mit ihrer kostbaren Last in die kühle Stille der hohen Halle. Sie blinzelte. Nach dem gleißenden Sonnenlicht auf dem Markt mussten ihre Augen sich erst an die Dunkelheit in der Halle gewöhnen. In ordentlichen Reihen standen hier die Tische der Seidhändler. Es herrschte eine fast vornehme Stille, denn der ohrenbetäubende Lärm, der draußen das Marktgeschehen begleitete, drang nur gedämpft herein. Auf den Tischen und den Bänken stapelten sich Seidenballen jeder Färbung und Machart. Von hauchzartem Seidentaft in sanften Pastelltönen für Schleier über schwere Tuchgewebe bis hin zu wundervoll glänzenden Satinstoffen, die in allen erdenklichen Farben schimmerten, und schwerem, hochflorigem Seidensamt. Kein noch so luxuriöser Kundenwunsch, den die Seidhändler nicht erfüllen konnten. Voller Ehrfurcht schritt Fygen durch die Tischreihen auf der Suche nach ihrer Lehrherrin und betrachtete bewundernd die ausgelegte Ware. Das Kaufhaus war um diese Nachmittagszeit, in den wärmsten Stunden des Tages, nicht sehr gut besucht. Nur vereinzelt ließen sich Kunden an den Tischen Stoffe vorlegen. Einige der Händler und Seidmacherinnen standen zusammen und schwätzten, doch so manch einer war auf seinem Stuhl eingenickt, um ein wohlverdientes Schläfchen zu halten. In einer der hinteren Reihen fand Fygen so auch Mettel an ihrem Stand vor, den Kopf an einen Stapel Stoffe gelehnt, den Mund weit offenstehend und leise schnarchend. Aufatmend ließ Fygen ihre Ballen auf den Tisch gleiten und rieb sich die vom Tragen fast tauben Finger. Mettel schrak auf und guckte Fygen ob der Störung vorwurfsvoll

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