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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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es nun auch merklich später, als die Mädchen nach der Morgensuppe an ihre Arbeit in der Werkstatt gingen. Fygen machte sich mit Hylgen daran, Fäden für den Kettbaum zu schneiden, um den nächsten Webstuhl aufzuscheren. Bei einer Stoffbreite von etwas über einer Elle, kamen für einen mittelschweren Stoff gut und gerne tausend Fäden zusammen. Sewis, die beim Frühstück ihre Suppe wieder kaum angerührt hatte, kam mit bleichem Gesicht vom Abort herein. Der Gestank von der Latrine konnte nun kein Grund mehr sein für ihre Übelkeit. Katryn beobachtete Sewis aufmerksam von ihrem Webstuhl aus. Ihr Gesicht war rundlicher geworden, und sie hatte ihr Mieder loser geschnürt als früher. Insgesamt wirkte sie fülliger, doch an Mettels Kochkunst konnte das kaum liegen, erkannte Katryn. Fygen war den kritischen Blicken der Freundin gefolgt und sah sie fragend an. Doch Katryn legte den Zeigefinger auf die Lippen.
    Eine gute Stunde später, sobald Grete die Werkstatt verlassen hatte, winkte Katryn Sewis zu sich heran und fragte sie geradeheraus: »Sag mal, Sewis, bist du in anderen Umständen?«
    Sewis’ blasses Gesicht färbte sich puterrot. Betreten blickte sie zu Boden und fragte leise: »Sieht man es schon so deutlich?«
    »Nur wenn man genau hinschaut«, antwortete Katryn. »Was hast du nun vor?«
    Sewis zuckte mit den schmalen Schultern. Die beiden anderen Lehrmädchen hatten Katryns Worte mitbekommen und waren herbeigetreten. Hylgen schlug ein Kreuzzeichen. »Den Vater heiraten, natürlich. Was sonst?«
    Sewis presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und starrte auf ihre Füße. Dann blickte sie in Katryns Haselnussaugen. Die Ältere blickte fragend zurück, doch Sewis schüttelte den Kopf.
    »Warum nicht?«
    Mit kleinlauter Stimme antwortete Sewis: »Ich weiß nicht, wer es ist.«
    Wieder bekreuzigte Hylgen sich.
    »Wir behalten die Sache vorerst für uns«, entschied Katryn, und Fygen und Hylgen nickten zustimmend. »Mettel wird es noch früh genug herausbekommen, doch von uns wird sie es nicht erfahren.«

13. Kapitel
    S ewis stellte den schweren Krug mit frisch geschnittenen Kirschzweigen auf die Fensterbank in der Küche. Heute war der vierte Dezember, der Tag der heiligen Barbara. Ein Tag, der das Schicksal vorhersagte. Würden die Kirschblüten an Weihnachten blühen, so bedeutete das Glück. Blieben die Zweige dürr, dann war Unglück zu erwarten. Seufzend legte sie die Hände auf den schmerzenden Rücken.
    »Du lieber Himmel. Das darf ja wohl nicht wahr sein!« Mit wenigen Schritten war Mettel auf sie zugeeilt und fasste sie grob am Arm. »Sag, dass es nicht wahr ist. Sag, dass du kein Kind erwartest«, schrie Mettel das Mädchen an und schüttelte es. »Du kleines, billiges Miststück!«
    Schützend legte Sewis ihren freien Arm vor den Bauch. Jetzt war es also so weit. Bislang hatte sie ihren Umstand geschickt vor ihrer Lehrherrin verbergen können. Natürlich hatte sie gewusst, dass es irgendwann herauskäme, doch den Gedanken hatte sie immer weit von sich geschoben. Was hatte sie erwartet? Dass das Kind sich einfach in Luft auflösen würde, wenn sie es nur lange genug ignorierte?
    »Verschwinde aus meinem Haus!« Die Worte drangen wie durch dichten Nebel in ihr Bewusstsein. Nein, das konnte nicht sein. Niemand konnte so grausam sein, sie kurz vor Weihnachten auf die Straße zu setzen. Wohin sollte sie denn gehen? Zu ihren Eltern sicher nicht. Dort würde sie keine gnädige Aufnahme finden. Ihr Vater würde sie entsetzlich schlagen, vielleicht sogar einsperren.
    »Pack sofort deine Sachen. Hast du mich verstanden?« Mettel ließ ihren Arm los und stieß sie zur Hoftür.
    Sie schien es wirklich ernst zu meinen. Wo, um Himmels willen, sollte sie denn nur hin? Wie betäubt trat sie auf den dämmerigen Hof hinaus und ging schweren Schrittes auf das Werkstattgebäude zu.
    »Du kannst sie in dem Zustand doch nicht fortschicken«, rief Fygen entsetzt, als sich die Tür hinter Sewis geschlossen hatte.
    Mettel fuhr zu ihr herum. »Sewis ist alt genug, sich in den Schlamassel hineinzubringen, dann muss sie auch in der Lage sein, die Folgen zu tragen«, keifte sie. »Dies ist jedenfalls ein anständiges Haus. Meine Mädchen treiben sich nicht herum …« Fast wie eine Verteidigung kamen ihr diese Worte aus dem Mund, und jedes der Mädchen merkte deutlich, wie hohl sie waren.
    »Aber …«, versuchte Fygen erneut einen Einwand.
    »Willst du gleich mit ihr gehen?«, fauchte Mettel sie drohend an, und

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