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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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grundsätzlich vom Makel der Rothaarigkeit. Der schwere Stoff umrahmte ihr blasses Gesicht, aus dem scharf die Sommersprossen hervorstachen, und ließ es weiß und durchsichtig erscheinen. Dunkle Schatten lagen unter ihren traurigen Augen, doch insgesamt wirkte sie gefasst und ergeben in ihr Schicksal.
    Fygen wusste nicht, was sie sagen sollte. Verlegen drehte sie das Bündel mit Hylgens Sachen in den Händen, doch dann, einem Impuls folgend, machte sie einen Schritt auf Hylgen zu und schloss das große Mädchen einfach in die Arme. Eine Weile standen sie so unter den wohlwollenden Blicken der Frauen, bis eine hoch gewachsene, autoritätsgewohnte Frau Hylgen sanft am Arm fasste. »Wollt ihr nicht in den Garten hinausgehen und ein wenig plaudern? Die Sonne scheint heute so schön.«
    »Ja, vielen Dank, Mutter.« Hylgen löste sich aus Fygens Umarmung, fasste sie bei der Hand und zog sie mit sich hinaus in den kleinen Kräutergarten hinter dem Haus. Auf einer winzigen Bank ließen sie sich nieder, und Hylgen holte tief Luft. Dann endlich gelang es ihr, Fygen von den Geschehnissen der vergangenen Tage zu berichten. Ihre Mutter war sehr schwach gewesen, als das Mädchen nach Hause kam, doch sie hatte sich sehr gefreut, ihre Tochter zu sehen. Zwei Tage später war ihre Mutter dann in ihren Armen friedlich eingeschlafen, erzählte Hylgen. Doch zuvor hatte sie den letzten noch verbliebenen Rest des einst recht ansehnlichen Familienvermögens dafür aufgewendet, ihrer frommen Tochter einen Platz in einem der zahlreichen Beginenkonvente zu sichern. Für eine Waise, die Hylgen jetzt war und die niemanden hatte, der sich ihrer annahm, und noch dazu eine, die keinen Hang zu weltlichen Dingen erkennen ließ, war das sicher eine gute Entscheidung.
    »Du wirst also jetzt Nonne?«, fragte Fygen. Der Unterschied zwischen einem Beginenkonvent und einem Kloster war ihr nicht recht klar.
    »So ähnlich«, erklärte Hylgen. »Auch wir haben uns für ein bescheidenes, christliches Leben entschieden, das wir nach bestimmten Regeln verbringen. Aber wir gehören keinem Orden an und sind keine Nonnen. Wir können den Konvent jederzeit verlassen. Wir leben zu zwölft hier in unserer Gemeinschaft, alles unverheiratete Frauen oder Witwen.«
    »Aber wenn ihr zu keinem Orden gehört, wie bestreitet ihr dann euren Lebensunterhalt?«, wollte Fygen wissen.
    »Nun, jede Schwester, die aufgenommen werden will, muss über eine Rente oder ein gewisses Vermögen zu ihrem Unterhalt verfügen. Oder aber sie muss sich auf ein Handwerk verstehen, um für ihre Existenz zu sorgen. Wir sind nur ein kleiner, nicht sehr wohlhabender Konvent, aber andere sind richtiggehend vermögend, je nachdem, wer sie fördert oder welche Stiftungen sie bekommen haben. Wir hier müssen uns weitgehend mit dem Spinnen und Weben über Wasser halten. Du hast ja selbst gesehen, dass hier nicht eine müßig dasitzt.«
    »Oh weh. Müßig – du sagst es. Ich muss zurück in die Werkstatt. Ich habe Katryn versprochen, ihr bei ihrem Werkstück für die Prüfung zu helfen. Es muss bis heute Abend fertig werden.«
    Herzlich nahmen die Mädchen Abschied voneinander, und Hylgen geleitete Fygen zur Tür.

    Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten, als Fygen wieder die Elnersche Werkstatt betrat. Katryn schien die ganze Zeit ohne Unterbrechung gewebt zu haben, denn vor ihr auf dem Webstuhl hatte sich bereits ein ansehnliches Stück makelloses Tuch gebildet. Nun reckte sie sich und streckte die müden Arme über den Kopf. Ehrfürchtig und voller Bewunderung strich Fygen über den Stoff. Er war wirklich unübertrefflich, die Ränder wie mit einem Lineal gezogen. Das Wesentliche war geschafft, doch Katryn würde noch eine Weile weiterarbeiten müssen, um das Gewebe etwas zu verlängern, und noch hatte sie einige Stunden Tageslicht vor sich. Fygen ließ sich auf einem Hocker in der Nähe von Katryns Webstuhl nieder, und während Katryn ihre Arbeit fortsetzte, erzählte Fygen ihr, was das Schicksal für Hylgen bereitgehalten hatte.
    »Ich denke, wenn sie sich erst einmal eingelebt hat, wird sie sich in ihrem Konvent wohler fühlen als bei uns«, schloss Fygen ihren Bericht.
    »Überall kann man sich wohler fühlen als hier«, entgegnete Katryn sarkastisch.
    Es dauerte eine geraume Weile, dann schlug Katryn die Kammlade ein letztes Mal an. »Fertig!«, verkündete sie strahlend und erhob sich von ihrer schmalen Bank. Gemeinsam nahmen sie die Abschlussarbeiten an dem Gewebe vor, was bedeutete,

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