Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
ihrer Zöpfe in der Nase zu kitzeln. Hätte sie gewusst, welch entscheidenden Einfluss die wirtschaftspolitischen Geschehnisse dieses Frühjahres auf ihr Leben haben würden, sie hätte mit Sicherheit die Ohren gespitzt.
Vornhuis grüßte in die Runde und setzte sich auf seinem Stuhl bequem hin. »Ihr Sohn?«, fragte er Peter mit einem wohlwollenden Kopfnicken in Richtung des Säuglings auf Fygens Schoß. »Ein prächtiges Kerlchen, sieht Ihnen verdammt ähnlich.«
19. Kapitel
V erflucht noch einmal! Dieses Kind hat einen teuflischen Dickschädel!«
»Von wem sie den wohl hat?«, fragte seine Gattin spitz. »Außerdem sollst du nicht fluchen!«
Doch Heinrich Starkenberg regte sich weiter auf. »Das ist unfassbar. Das dürfen sie gar nicht. Sie ist noch nicht zwanzig Jahre alt. Ohne meine Erlaubnis kann sie nicht heiraten.«
»Du siehst ja, wie sie das kann.« Langsam verlor seine Frau die Geduld.
»Ich werde … ich werde …« Heinrich fehlten die Worte.
»Was wirst du? Sie enterben? Ich glaube, das ist ihr völlig gleich. Ich sage dir jetzt, was du tun wirst: Du willst keinen armen Schlucker als Schwiegersohn? Dann sieh zu, dass er vermögend wird!«
»Ich soll ihn auch noch unterstützen? Diesen …« Vater Starkenberg fiel es schwer, in irgendeiner Form von Mertyn zu sprechen, ohne einen Fluch zu verwenden. Sein umfangreicher Bauch zitterte vor Empörung. »Auf wessen Seite stehst du eigentlich? Hm? Und wie stellst du dir das überhaupt vor?«
»Ganz einfach.« Katryns Mutter lächelte fein. »Sprich mit Peter Lützenkirchen. Er ist mit Ime Hove befreundet. Sicher wird er einige Geschäfte zu arrangieren wissen, die für, äh« – auch sie tat sich noch schwer damit, den Namen ihres Schwiegersohnes auszusprechen – »Mertyn gewinnbringend sein könnten.«
Ihr Mann schwieg eine Weile. Dann brummt er so leise, dass seine Frau ihn kaum verstand: »Hat sie wenigstens glücklich ausgesehen?«
»Sehr glücklich!«
Der Sommer neigte sich bereits seinem Ende zu, doch immer noch hing die Hitze über den Plätzen der Stadt. Nur in den schmalsten Gassen, wo die Sonne sich kaum zwischen den Häusern hindurchzuzwängen vermochte, war es halbwegs erträglich. Unter dem flachen Dach der Werkstatt zerflossen die Mädchen förmlich. Kaum dass eine ihre Sinne recht beisammenhalten und sich auf die Arbeit konzentrieren konnten. Immer wieder musste Fygen ihre Arbeit am Webstuhl unterbrechen, weil einer der Zwillinge sich beim Einfädeln der Schussfäden durch die Litzen vertat.
Fygen, obwohl selbst gerade erst im zweiten Jahr ihrer Lehre, war nun diejenige, welche die beiden jüngeren Lehrmädchen unterwies. Grete brachte dazu einfach nicht die Geduld auf. Bei jedem kleinsten Fehler beschimpfte sie die beiden, die daraufhin sofort in Tränen ausbrachen, was Grete nur noch mehr in Rage versetzte. Fygens Base machte sich noch nicht einmal die Mühe, die Mädchen auseinanderzuhalten und jede mit ihrem richtigen Namen anzusprechen. Sie nannte sie einfach heda oder duda , gleich welche von beiden sie meinte. Wen wunderte es da, dass die Mädchen sich eng an Fygen anschlossen, die trotz aller Arbeit immer ein freundliches Wort für sie übrighatte.
Doch heute störte Fygen das vertrauensvolle Geplapper der Mädchen. Denn während sie mechanisch das Schiffchen durch die Kettfäden bewegte, drehten ihre Gedanken sich im Kreis. Mettel hatte ihr beim Mittagessen knapp beschieden: »Morgen früh sollst du zum Zunftvorstand kommen.« Mit argwöhnisch hochgezogenen Augenbrauen hatte sie noch hinzugefügt: »Wer weiß, was du wieder angestellt hast.«
Doch Fygen blieb ihr eine Antwort schuldig. Sosehr sie sich auch das Hirn zermarterte, außer der Sache mit Katryns Prüfung fiel ihr nichts ein, was sie dem Zunftvorstand zu erklären hätte. Und Katryns Prüfung lag nun schon Wochen zurück. Nein, es war sehr unwahrscheinlich, dass diese Geschichte jetzt noch aufgerollt werden würde. Und Peter Lützenkirchen wäre der Letzte, der Katryn etwas Schlechtes wollte. Fygen konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, was die Damen und Herren vom Seidamt von ihr wollten. Ein kleiner, heimlicher Gedanke allerdings schlich sich wider alle Vernunft immer wieder nach vorn in ihr Bewusstsein: Wollte Peter Lützenkirchen sie vielleicht einfach nur wiedersehen? Du dummes Ding, schalt sie sich. Hör auf zu träumen! Mit aller Macht zwang sie sich dazu, ihre Aufmerksamkeit wieder dem Webstuhl zu widmen. Sie würde den Grund schon noch
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