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Die Seilschaft

Die Seilschaft

Titel: Die Seilschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Kilian bei den Heinleins. Er stand an der Terrassentür und blickte hinaus.
    «Wie lange sitzt er da schon?», fragte Kilian.
    «Eine Stunde oder zwei. Ich weiß es nicht.» Sie krallte sich an seinem Arm fest. «Mein Gott, was ist nur los mit ihm? So habe ich ihn noch nie erlebt.»
    «Hattet ihr Streit?»
    «Nein, es ist alles in Ordnung.»
    «Gibt’s Probleme mit den Kindern?»
    «Die sind versorgt. Es geht ihnen wunderbar. Ich verstehe das nicht. Warum macht er das nur? Hattet
ihr
vielleicht Streit?»
    «Nein», antwortete er, verschwieg aber den Beinaheunfall vom Nachmittag. «Ich gehe jetzt raus und rede mit ihm. Du bleibst hier und verhältst dich ruhig. Unternimm nichts. Hast du das verstanden?»
    Claudia nickte geistesabwesend. Ihr Blick war auf ihren Mann Schorsch gerichtet, von dem sie geglaubt hatte, ihn und sein Verhalten zu kennen.
    Kilian stellte sich die gleiche Frage in diesem Moment. Wiegut kannte er eigentlich seinen Freund und Kollegen? Offensichtlich gab es noch eine andere Seite an ihm, die er in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit verborgen hatte.
    Er ging los – vorsichtig und sich der Gefahr bewusst, die ein verstörter Mann mit einer Waffe darstellte.
    Wie lange lag die Fortbildung für das Verhalten in Krisensituationen zurück? Er erinnerte nur Bruchstücke. Eines davon war: Keine Überraschungen. Ein anderes: Keine Widerrede, sondern Verständnis zeigen.
    Bevor er sich Heinlein näherte, der im Pyjama auf dem Rand der Terrasse saß, kündigte er sich an.
    «Hey, Schorsch. Ich bin’s, Kilian.»
    Heinlein drehte sich zur Seite. «So spät noch unterwegs?»
    Er klang gelassen, beinahe freundlich. Kein Anzeichen für Feindseligkeit.
    «Kann ich mit dir reden?»
    «Klar, komm rüber.»
    Kilian kam näher. Wo hatte Heinlein die Waffe? Er konnte sie nicht sehen.
    Heinlein wies ihm einen Platz neben sich zu. «Setz dich.»
    Kilian ließ sich nieder. Die Beine schwangen in luftiger Höhe von der Terrasse herab. Vor ihnen lag das friedlich schlafende Maintal, und über ihnen protzte ein klarer Himmel mit allem, was er zu bieten hatte. Die fernen Galaxien sahen wie ein Haufen wild durcheinandergewürfelter Dominosteine aus.
    «Eine schöne Nacht», sagte Heinlein mit Blick auf die Sterne. «Zu schön, um sie an den Schlaf zu verschwenden.»
    «Stimmt», antwortete Kilian, «vielleicht etwas kühl. Der Sommer ist vorbei.»
    «Ich mag den Herbst nicht besonders. Um ehrlich zu sein, ich hasse ihn sogar.»
    «Wieso das?»
    «Mit dem Herbst beginnt das Sterben. Die Tage werdenkürzer, das Licht wird grau, die Natur verliert ihre Kraft. Alles wird fahl und leblos. Erst der Winter bereitet dem Trauerspiel ein Ende. Schöner weißer Schnee legt ein Totentuch darüber. Stille kehrt ein. Das mag ich.»
    «Es kommt ein neuer Frühling, darauf der Sommer. Alles erwacht zu neuem Leben.»
    «Ich weiß.» Heinlein strich sich über die klammen Schenkel. Da lag sie, die Waffe, gleich neben ihm, aber außerhalb von Kilians Reichweite. Er hätte sich schon über Heinlein beugen müssen, um sie zu erwischen.
    «Hat dich Claudia herbestellt?», fragte Heinlein.
    «Sie macht sich Sorgen.»
    «Die gute Claudia. Immer um das Wohl der anderen bemüht.» Seine Ironie klang bedrohlich. «Dabei hat sie doch so viel mit sich selbst zu tun. All die Kurse und Workshops, die sie zu einem noch besseren Menschen machen sollten   … Zweifel kamen ihr dabei nie. Sie hat sich nie gefragt: Wieso das alles? Reicht es nicht, dass ich gesund und versorgt bin? Brauche ich wirklich so eine Bonzen-Bude, in der wir jetzt gefangen sind? Waren wir in unserer alten Eisenbahnerhütte in Grombühl nicht glücklich genug?»
    «Ist euch das neue Haus über den Kopf gewachsen? Wenn ich dir unter die Arme greifen soll   …»
    «Nein, das ist es nicht. Mit Hängen und Würgen kriege ich das schon hin.»
    «Was ist es dann? Gibt es Probleme im Büro?»
    Heinlein seufzte. «Ja und nein. Ich meine, musste ich unbedingt Erster Kommissar werden und dir den Job wegnehmen?»
    Kilian legte die Hand auf seine Schulter. «Deswegen musst du dir keinen Kopf machen. Den Job wollte ich nie haben. Weißt du noch? Vom ersten Tag an wollte ich wieder weg aus dieser Stadt. Bella Italia, das war meine Heimat.»
    «War?»
    «Ich habe ein neues Kapitel aufgeschlagen. Wenn alles gutgeht, werde ich in einer Woche mein Baby im Arm halten. Dagegen kann Bella Italia nicht anstinken. Hey, der alte Stenz wird sesshaft. Wer hätte das gedacht?»
    Heinlein schmunzelte. «Am

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