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Die Seilschaft

Die Seilschaft

Titel: Die Seilschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Wahlkampfveranstaltung auf dem Marktplatz», sagte sie, ohne einen Zweifel daran zu lassen. «Anstelle des gefeuerten Schwerdt spricht heute die neue Generalsekretärin Sandra Wagner. Er will sie nach Petra Bauer befragen.»
    Schneider schaute weniger überrascht als Kilian. Der wusste von der Veranstaltung nichts.
    «Dann richte ihm einen schönen Gruß von mir aus», sagte Schneider und machte sich auf den Weg.
    Zurück blieb ein erstaunter Kilian.
    «Stimmt das?»
    «Was?»
    «Das mit dem Wahlkampfgedöns auf dem Marktplatz.»
    «Klar, wieso nicht? Die Ausrede muss doch überprüfbar sein. Der Chef hat auch schon nach ihm gefragt.»
    «Hat er’s gefressen?»
    «Er hat keinen Grund, es nicht zu tun. Schließlich bin ich ja eine Vertrauensperson.»
    «Und eine ziemlich hintertriebene.»
    «Trotzdem will er ihn sprechen. Zumindest am Telefon.»
    «So ein Mist», grummelte Kilian. «Wie können wir das vermeiden?»
    Sabine grinste überlegen. «Ich hab da schon eine Idee.»

20
    Kilian konnte sich nicht erinnern, ob er jemals einer Wahlkampfrede beigewohnt hatte.
    Ansammlungen von mehr als zwei Personen an einem Ort mied er ohnehin, und Politiker, die krampfhaft versuchten, volksnah und verständnisvoll zu wirken, erzeugten bei ihm Unwohlsein.
    Als er auf den Unteren Markt kam, hatten sich nur wenige Interessierte rund um die Bühne der Partei eingefunden. Dabei war es gerade Mittag. Eigentlich die beste Zeit, um möglichst viele anzusprechen, die sich zur Mittagspause auf dem Marktplatz tummelten.
    Doch anstatt sich mit den vielen bunten Fähnchen, Broschüren und Werbegeschenken einzudecken, ließ man sich zu einem Cappuccino an einem der umliegenden Stände und Cafés nieder. Von hier aus beobachtete man die bemühten Versuche dort oben auf der blauweiß geschmückten Bühne, die Aufmerksamkeit und mit ihr die Stimmen der Wähler zu gewinnen.
    Ein namen- und gesichtsloser Nachwuchspolitiker übte sich gerade in der Kunst der Rhetorik, bevor der Hauptredner die Bühne betreten sollte. Er konnte die wenigen Interessierten nicht erreichen. Seine Stimme verhallte ungehört.
    Auf einem Plakat waren der Name und das Gesicht eines Günter Wohlfarth abgedruckt. Er war eines der vielen Echos aus der Vergangenheit der Partei – immer irgendwie präsent, aber nie richtig zugegen. Welche Funktion oder Position nahmer in der Partei ein? Stellvertretender Parteivorsitzender stand in kleinen Lettern geschrieben.
    Einen Stellvertreter, einen Ersatz hatte die Partei also in den Wahlkampf geschickt. Das klang nicht gerade nach Ernsthaftigkeit, mit der man verlorengegangene Stimmen zurückgewinnen wollte.
    Kilian bestellte sich einen Espresso. Wenn er sich im weiten Rund des Unteren Markts umblickte, dann schätzte er rund hundert potenzielle Wähler, die auf dieser Wahlkampfveranstaltung angesprochen werden konnten. Mehr als die Hälfte davon war mit anderen Dingen beschäftigt, als sich Gedanken über die nächste Wahl zu machen. Das war eine dürftige Ausbeute.
    Ganz anders sah die Lage am Oberen Markt aus. Dort hatte eine andere Partei Stellung bezogen, und wie es schien, hatte sie mehr Erfolg. Die Stimme eines Kandidaten waberte herüber, gefolgt vom Applaus vieler Hände.
    Die Ersten gingen, sie wollten nicht mehr länger auf den Stellvertreter warten, und Kilian fragte sich, ob er ihnen folgen sollte. Das Knacken der Lautsprecher und die Ansage, dass nun Günter Wohlfarth zu den Würzburgern sprechen wollte, hielten ihn zurück. Applaus ertönte. Doch er kam nicht von den Wartenden, auch nicht von der Gegenveranstaltung am Oberen Markt, sondern er wurde über Band eingespielt.
    Ein Mann quälte sich die Stufen zur Bühne hinauf und ging langsam zum Rednerpult, das vor einer großen blauweißen Wand aufgebaut war.
Kraft und Tradition
prangte in großen Buchstaben über den Wäldern, Seen und Bergen des bayerischen Landes.
    Wohlfarth, sofern er es war, holte einen Zettel aus der Tasche und gönnte sich noch ein paar Atemzüge, bevor er begann. Das Bild auf dem Wahlplakat schien aus besseren Zeiten zustammen. Der Mann dort oben auf der Bühne war älter, verbrauchter, erschöpfter – ein Echo aus der Vergangenheit.
    «Liebe Würzburger», donnerte es über den Unteren Markt, «es sind nur noch wenige Tage bis zur Entscheidung   …»
    Die Lautsprecheranlage war viel zu laut eingestellt. Wohlfarths Stimme hallte von den Mauern der umstehenden Häuser zurück und malträtierte die Ohren der Zuhörer.
    Die Nächsten gingen. Das

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