Die Seilschaft
Einklang mit sich und seinem Tun steht, erlangt wahre Glaubwürdigkeit.
Liebe Kirchengemeinde, bedenkt dies, wenn ihr über die Zukunft eures Landes entscheidet. Messt sie an ihren Taten – gleich, ob sie im Amt geschehen oder zu Hause. Es bleibt derselbe Mensch.»
Der Priester bezog damit Stellung gegen eine Aussage des kirchenpolitischen Sprechers der Partei.
Dieser hatte am Nachmittag die harsche Kritik eines Bischofs an den liederlichen Zuständen in der Parteispitze zurückgewiesen. Schwerdts politisches Amt und sein privater Lebensstil seien zwei Paar Stiefel. Was er in seiner Freizeit tue, dürfe nicht auf seine Arbeit übertragen werden, und schon gar nicht auf den Führungskader der Partei. Der Bischof solle sich hingegen mäßigen und erst mal selbst die schwarzen Schafe in seiner Kirchengemeinde auslesen.
Das war eine offene Kampfansage an die mächtige Kirche im Land. Viele empfanden es als einen verzweifelten Akt, der mehr Schaden als Heil anrichtete, andere als Offenbarungseid.
Ute Mayer und die neue Generalsekretärin Sandra Wagnergerieten damit ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf dem Vorplatz des Doms stellten sie sich den Fragen und Vorwürfen der Kirchengemeinde.
Etwas abseits davon hielt sich Hilde Michalik auf. Sie hatte für den Abend einen diskreten Raum in der Alten Mainmühle gebucht, wo es die nächsten Schritte zu besprechen galt. Morgen würde Sandra Wagner auf dem Unteren Markt zu den Bürgern sprechen, und ihre Rede war noch nicht geschrieben.
Auch Ute Mayer musste in Szene gesetzt werden, um gegen den eigentlichen Hauptredner – den stellvertretenden Parteivorsitzenden Günter Wohlfarth – bestehen zu können. Das würde nicht einfach werden, galt Wohlfarth doch als ein integerer und gerade bei den älteren Wählern geschätzter Mann des Volkes.
Er hatte sich in den vierzig Jahren seiner Parteizugehörigkeit offiziell nichts zuschulden kommen lassen, war weder durch Skandale noch durch aufmüpfige Worte aufgefallen – wegweisende neue Ideen, die die Partei für die Herausforderungen der nächsten Wahlen in Stellung brachten, fehlten ihm aber ebenso.
Er war ein treuer und verlässlicher Parteisoldat der alten Schule, dem in diesen wechselhaften Zeiten des Umbruchs viele Sympathien entgegengebracht wurden.
Hilde kannte ihn seit den siebziger Jahren. Damals hatte er sich an der Seite des Alten durch kluge Äußerungen hervorgetan. Was er nicht tat, und das sollte seinen Abstieg einleiten, war Vorsorge für die schlechten Zeiten zu treffen.
Als der Alte starb, nahm er Wohlfarth mit ins Grab. Machtpolitisch war seine Karriere beendet, ab jetzt durfte er den guten Onkel bei der Wahl der bayerischen Milchkönigin spielen.
Doch Wohlfarth wäre nicht stellvertretender Parteivorsitzender geworden, wenn er nicht jemand anderem oder einer Gruppe zu Diensten gewesen wäre. Es galt herauszufinden,worin diese Verpflichtung bestand. Irgendwo musste er eine Leiche begraben haben. Fragte sich nur wo.
«Wieso warst du nicht in der Kirche?», erkundigte sich Ute Mayer.
Sie hatte sich mit Sandra Wagner aus dem Pulk gelöst, der noch immer die Mahnworte des Priesters diskutierte.
Hilde seufzte. «Das passt nicht zusammen. Jedes Mal, wenn ich so einen Schwarzkittel sehe, wird mir ganz schummrig.» Sie schaute auf die Uhr. «Eigentlich müsste sie schon längst eingetroffen sein. Der Zug aus Nürnberg hatte keine Verspätung.»
«Wen treffen wir noch?», fragte Sandra Wagner.
«Jemand, der uns noch sehr behilflich sein kann», antwortete Hilde.
Auch Ute Mayer wusste nichts von einem zusätzlichen Gast. «Mach es nicht so spannend. Auf wen warten wir?»
«Gedulde dich. Du wirst nicht enttäuscht sein.»
«Will ich hoffen. Ich habe einen Bärenhunger.»
Durch die Fußgängerpassage am Kürschnerhof bahnte sich ein Taxi den Weg. Es entließ eine Frau, die offenbar nicht erkannt werden wollte. Eine große Sonnenbrille und ein Tuch um den Kopf sicherten ihre Anonymität.
Hilde ging auf sie zu. «Schön, dass Sie noch gekommen sind.»
«Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist», antwortete sie.
«Keine Sorge, Sie müssen nichts tun, was Sie nicht wollen.»
Unter dieser Voraussetzung stimmte sie zu.
Hilde führte sie zu Ute Mayer und Sandra Wagner.
«Darf ich vorstellen? Charlotte Henning.»
« Die
Charlotte Henning?», fragte Ute Mayer, die sie hinter ihrer Verschleierung zu erkennen suchte. «Ehefrau und …»
«… und Exgeliebte Werner Schwerdts», antwortete sie
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