Die Seilschaft
zeichnete sich ab, dass es sich um einen Angreifer von auffällig kleiner Statur handelte, vermutlich einen Jugendlichen.
Und er war ganz in Schwarz gekleidet.
Sollte das der gleiche Kerl wie im Spessart sein?
Er richtete sich auf. Offenbar war auch er nicht ohne Blessuren davongekommen. Sein Arm hing seltsam leblos am Körper.
«Bleiben Sie liegen!», rief Kilian mit gezückter Waffe ihm zu. «Polizei.»
Doch der Angreifer hatte nicht vor, sich darauf einzulassen.
35
Der Schlag gegen Kilian und Bruder Vinzenz war mit einem Baseballschläger geführt worden.
Kilian sah ihn neben der Maschine am Boden liegen. Blut klebte darauf. Der Angreifer hatte sich ohne sein Motorrad und seine Waffe davongemacht, noch bevor Kilian ihn erreichen konnte.
Weit konnte er nicht gekommen sein. Er war verletzt.
Kilian folgte ihm durch den engen Durchgang am Dom, hinüber zum Oberen Markt bis in die Julius-Promenade hinein.
Dort verlor sich seine Spur. Er schien in eine der dunklen Gassen verschwunden zu sein. Unmöglich, jede einzelne zu überprüfen.
Die Wunde schmerzte. Kilian schob das Hemd zur Seite und sah im fahlen Licht der Straßenlampe eine Platzwunde, die quer über die Brust verlief.
Jetzt, nachdem er erkannt hatte, wie sehr ihn der Knüppel getroffen hatte, spürte er auch, wie der Schmerz zunahm. Er pochte im Einklang mit seinem Puls und machte es ihm schwer zu atmen. An eine weitere Verfolgung war beim besten Willen nicht zu denken.
Er rief die Einsatzzentrale an.
«Kommissar Kilian hier. Verdächtige Person in schwarzer Motorradkleidung flüchtig. Alter und Geschlecht unbekannt, von kleiner Statur, wahrscheinlich verletzt. Letzter Sichtkontakt Juliuspromenade, Höhe Koellikerstraße. Fordere Unterstützung an.»
«Wir sind schon von einer Streife verständigt worden», lautete die Antwort, «bleiben Sie vor Ort, um die Kollegen zu informieren. Und noch etwas: Ihr Chef sucht Sie dringend. Soll ich ihn verständigen?»
Kilian seufzte. «Wenn es unbedingt sein muss.»
Das Krankenhaus des Juliusspitals lag in der Koellikerstraße. Eigentlich hätte er sich sofort dorthin begeben müssen. Die Wunde musste verschlossen werden, bevor sie sich entzündete.
Ein Gedanke zwang sich ihm auf.
Lag das Parteibüro nicht in der Nähe?, fragte er sich.
Der Angreifer hatte weitaus bessere Möglichkeiten gehabt unterzutauchen. Wieso war er den weiten Weg gegangen?
Er würde herausfinden, was dahintersteckte.
Die Tür stand offen, die Büroräume waren dunkel und verlassen. Nur aus einem fiel Licht auf den Gang. Ein Fernseher übertrug die Rede aus dem Saalbau in Schweinfurt.
Mit der Waffe im Anschlag öffnete Kilian vorsichtig die Tür. Hinter dem Schreibtisch saß Hilde Michalik, den Blick auf den Fernsehschirm gerichtet. Zu ihren Füßen kauerte der schwarzgekleidete Motorradfahrer. Im hellen Licht wirkte er nun keineswegs mehr bedrohlich, sondern klein und hilfsbedürftig. Etwas stimmte mit seinem Arm nicht. Er schien gebrochen.
«Noch so spät bei der Arbeit?», sagte Kilian, als er eintrat.
Hilde Michalik blickte auf.
«Herr Kilian», antwortete sie wenig beeindruckt, so, als hätte sie ihn erwartet. «Was führt Sie zu mir?»
Ihre Aufmerksamkeit wechselte wieder zur Fernsehübertragung.
Kilian näherte sich den beiden. Sie gaben ein seltsames Bild ab, fast wie Mutter und Kind.
«Sie stehen jetzt auf», sagte er im Befehlston und meinte den Motorradfahrer.
«Sie muss dringend ins Krankenhaus», entgegnete Hilde Michalik. «Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie das übernehmen? Ich kann gerade hier nicht weg.»
Doch Kilian ignorierte sie.
«Aufstehen. Jetzt. Sofort.»
Der Motorradfahrer hob den Kopf.
«Ich bin verletzt», sagte Vroni, das Zimmermädchen aus dem Hotel.
Kilian konnte es nicht fassen. Dieses zarte Wesen sollte den Anschlag auf Bruder Vinzenz und ihn verübt haben? Doch als er ihr in die Augen blickte, erkannte er sie von der Phantomzeichnung, die Schneider hatte erstellen lassen, wieder.
Vroni war es also, die den Schlüssel von der Waldhütte kopieren ließ, und sie war es, die sichergehen wollte, dass Schachtner tatsächlich Selbstmord beging.
Aber was bedeutete ihre Flucht in die Arme Hilde Michaliks? Diese Verbindung war mehr als seltsam.
«Was machst du hier?», fragte Kilian teils besorgt, teils vorwurfsvoll.
«Ich bin zu Hause», antwortete sie.
«Sie werden wenig Freude an ihr haben», sagte Hilde Michalik, «sie ist in psychiatrischer Behandlung.»
«Warum?»
«Fragen
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