Die Seilschaft
werden wir der Sache weiter nachgehen und die Verantwortlichen zur Rede stellen. Bleiben Sie dran.»
Bruder Vinzenz schaltete den Apparat ab. «Das ist es, was ich meine.»
Kilian hatte die ganze Zeit über gebannt verfolgt, was sich da in Schweinfurt tat. Der Club hatte es geschafft, Schwerdts Liebesnest völlig anders darzustellen, als es der Wahrheit entsprach.
Charlotte Henning war jetzt nicht mehr die betrügerische Ehefrau, sondern die aufopfernde Gattin, die ihren Ehemann vor den hinterhältigen Bespitzelungen der Partei in Schutz nahm.
Das würde die Partei die letzten Stimmen kosten. Damit war sie faktisch erledigt.
Und jetzt wurde Kilian auch Ute Mayers geringschätzige Bemerkung klar. Die berüchtigte Akte behandelte nicht etwaige Verfehlungen der Parteispitze, sondern Schwerdts Liebesnest, das mit Duldung und auf Kosten der Partei lief.
Einzig dieser windige Büroleiter passte nicht so recht ins Bild.
«Wer ist dieser Dieter Ferch?», fragte Kilian.
«Ein charakterschwacher Mensch», antwortete Bruder Vinzenz, «der mehr den Zorn seiner Frau fürchtet als die Arbeitslosigkeit. Er klagte mir sein Leid vor einigen Tagen.»
«Haben Sie Informationen über ihn herausgegeben?»
Bruder Vinzenz nickte stumm.
«Verstehen Sie jetzt, wieso sich einmal begangenes Unrecht immer weiter ausbreitet? Hätte ich mich damals gleich der Polizei gestellt, wäre das alles nicht passiert. Ich schäme mich vom tiefsten Grund meiner Seele.»
Er stand auf.
«Ich bin so weit. Die Koffer sind gepackt. Wir können gehen.»
Sosehr Kilian den Mut und die Aufrichtigkeit Bruder Vinzenz’ auch schätzte, so wenig konnte er im Moment mit ihm anfangen.
Eine Lawine aus Vorwürfen, Beschuldigungen und Rücktrittsforderungenwürde nun über die Partei hereinbrechen – gefolgt von Reaktionen der Betroffenen, die niemand voraussehen konnte.
Auch wenn sich Kilian nicht als Gralshüter der Partei verstand, es ging hier um Menschenleben, die möglicherweise in Gefahr gerieten.
Er begleitete Bruder Vinzenz hinunter auf die Straße und rief eine Streife, die ihn zur Inspektion bringen sollte.
«Hatten Sie auch Kontakt zu Ute Mayer?», fragte Kilian, als sie auf den Gehweg traten.
«Nein, nur zu dieser einen Person.»
«Können Sie sich dann vorstellen, wieso Ihr Kürzel V in ihrem Terminkalender erscheint?»
«Ich habe kein Kürzel.»
«Sie haben Sie also nie kennengelernt?»
«Nicht dass ich wüsste.»
Kilian zog den Kragen seiner Jacke hoch. Die kommende Nacht würde Schnee bringen. Die Luft war klar und frisch. Ein leichter Wind kam auf.
Jetzt, nach der Beichte Bruder Vinzenz’, gab es nicht mehr viel zu sagen. Die beiden standen auf dem Gehweg und warteten darauf, dass die Streife eintraf. Auch die Stadt war ruhig. Wahrscheinlich hielten sich ihre Bürger vor den Fernsehern und Radios auf.
Aus der Ferne näherte sich ein Fahrzeug. Endlich.
«Ich kann Ihnen nicht sagen, was der Richter anordnen wird», sagte Kilian, «aber Ihren Koffer werden sie vorerst nicht brauchen. Wollen wir ihn nicht wieder nach oben bringen?»
«Sie meinen, ich muss nicht gleich ins Gefängnis?»
Das Motorengeräusch wurde lauter. Noch eine Hausecke, und Kilian würde Bruder Vinzenz in den Streifenwagen verfrachten. Dann könnte er …
Jäh drehte der Motor hoch. Kilian drehte sich um und versuchtezu erkennen, warum der Kollege die Maschine so malträtierte.
Aus der Dunkelheit kam ein Motorrad auf sie zu – gefährlich schnell.
Kilian zerrte Bruder Vinzenz vom Gehsteig zurück. Etwas traf sie beide trotzdem. Zuerst spürte er nur einen Stoß, doch als er an seine Brust fasste, fühlte es sich feucht an. Er war von der Wucht des Schlags zu Boden gegangen, so wie auch Bruder Vinzenz. Allerdings quoll aus Vinzenz’ Mund Blut.
Kilian beugte sich über ihn.
«Bruder Vinzenz? Hören Sie mich? Geht es Ihnen gut? Sagen Sie doch etwas!»
Er antwortete nicht.
Sein nächster Blick ging die Straße entlang. Dort lag die Maschine des Angreifers auf der Seite, während sich die Räder noch immer drehten.
Einige Meter entfernt lag der Motorradfahrer. Er musste gestürzt sein.
Kilian erhob sich. Ein stechender Schmerz in seiner Brust drohte ihm den Atem zu nehmen. Er griff zu seiner Waffe.
Die Streife bog um die Ecke und hielt vor Vinzenz’ Haus.
«Kümmert euch um den Mann», ordnete Kilian an. «Er ist schwer verletzt.»
«Und du?», fragte der Kollege.
«Ich schnappe mir den anderen.»
Je näher Kilian ihm kam, desto deutlicher
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