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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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klopft an die Tür», rief Stefano aus seinem Zimmer.
    Der Anwalt blieb unschlüssig stehen, er wusste nicht, was er tun sollte. War es nicht zu gefährlich, diesen unberechenbaren Irren wieder hereinzulassen?
    «Bitte macht auf, sie kommen immer näher!», ließ sich der Baron vor der Tür vernehmen.
    Wer kam immer näher? Sicher waren das Einbildungen, die nur in seinem kranken Kopf existierten. Einbildung oder nicht, auf jeden Fall war es geraten, die Lage zu überprüfen.
    «Stefano, schau aus dem Fenster und sag mir, ob du jemanden siehst.»
    Er hörte, wie das Fenster geöffnet wurde, und dann die erschrockene Stimme seines Neffen.
    «Zu Hunderten kommen Leute an!»
    Himmelherrgott, wer mochte das sein? Doch da der Baron offenbar keine Gespenster sah, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, lief er eilig hinab und öffnete ihm. Keuchend trat Don Fofò ein.
    «Sie kommen hierher!»
    «Wer denn?»
    «Was weiß ich? Männer, Frauen, bewaffnet mit Stöcken, Forken und Schaufeln, und angeführt werden sie von einem Priester mit Kreuz! Auf keinen Fall darf man mich hier entdecken!»
    «Aber was wollen diese Leute denn?»
    «Was weiß ich?», wiederholte der Baron zunehmend erregt.
    Genau in diesem Moment hörte man die ersten Stimmen:
    «Teresi muss sterben! Tod diesem Teufel!»
    «Geben Sie mir den Revolver und kommen Sie mit», sagte der Anwalt, der sehr blass geworden war.
    Am Ende des Flurs lag ein Fenster. Teresi öffnete es, und das Morgenlicht fiel herein.
    «Steigen Sie hier hinaus.»
    «Aber da ist doch der Abgrund!»
    «Nein, das sieht nur so aus, es gibt einen schmalen Pfad, der nach unten führt. Man muss nur ein bisschen aufpassen.»
    Nachdem er das Fenster geschlossen hatte, holte er seinen eigenen Revolver aus dem Arbeitszimmer und ging ins Obergeschoss. Stefano schien sehr aufgeregt, er verstand nicht, was da vor sich ging. Sein Onkel gab ihm den Revolver des Barons.
    «Wenn sie versuchen, die Tür aufzubrechen, schießt du aus deinem Fenster. Der erste Schuss in die Luft, denke dran und sei ja vorsichtig! Aber wenn sie dann nicht weglaufen, zielst du. Ich gehe in mein Zimmer.»
    Nein, Hunderte waren es nicht. Es waren etwa sechzig, aber genug, um Unheil anzurichten. Gerade knieten sie alle nieder, und der Pfarrer mit dem Kreuz segnete sie.
    «Ihr frommen Kreuzzügler!», hörte man ihn sagen. «Meine geliebten Kinder, die ihr die Heiligkeit der Familie verteidigt, die häuslichen Tugenden bewahrt …»
    Den Moment nutzend, in dem sie alle auf den Pfarrer blickten, öffnete Teresi die Fensterläden gerade so weit, dass er seine Hand mit dem Revolver durch den Spalt stecken konnte.
    Da drehte der Priester, in dem Teresi Padre Raccuglia erkannte, sich plötzlich um, hob das Kreuz hoch in die Luft und rief:
    «Vorwärts! Schaffen wir uns den Dämon vom Hals!»
    Mit einem Blick erkannte Teresi, dass die Menge seine Tür beim ersten Stoß aufbrechen würde.
    «Schieß!», rief er Stefano zu und feuerte ebenfalls.
    Das Echo der beiden Schüsse war noch nicht verklungen, da war der Platz vor dem Haus schon menschenleer. Das heißt, man sah man niemanden mehr, der auf zwei Beinen stand. Denn ein Mann und eine Frau lagen ausgestreckt am Boden.
    Teresi erstarrte. Er hatte doch in die Luft geschossen! Er war ganz sicher! Eilig lief er ins Zimmer des Neffen.
    «Ich hatte dir gesagt, du sollst in die Luft schießen!»
    «Ich habe in die Luft geschossen!»
    Sie spähten wieder nach draußen. Der Mann war schon aufgestanden, die Frau richtete sich gerade auf. Die beiden waren vor Schreck ohnmächtig geworden, und jetzt nahmen sie die Beine in die Hand.
    Gegen acht Uhr morgens befand Vitangelo Sciabbarrà, Maresciallo der Carabinieri von Palizzolo, der wegen der Vorfälle in permanentem Austausch mit dem Bürgermeister stand, dass die Situation sich verschärfte.
    Denn es hatte bereits Plünderungen in drei Geschäften gegeben, einen Versuch, in den Palazzo Spartà einzudringen, durch gezielte Schüsse erfolgreich abgewehrt von Don Liborio und seiner Gattin Vetusta, der besten Schützin im Ort, außerdem einen versuchten Überfall auf die Mühle der Brüder Veronica.
    Auch die Brüder hatten sich mit Gewehren verteidigt, und dabei hatte es einen Toten gegeben. Der war zwar ein Verbrecher und schon fünf- oder sechsmal wegen Diebstahls verurteilt, aber tot war er trotzdem.
    Viele Männer waren nämlich, nachdem sie ihre Familien aufs Land gebracht hatten, sofort nach Palizzolo zurückgekehrt, denn eine solche

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