Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
zweite Teil wovon?»
«Von meiner Frage. Auf den ersten Teil haben Sie noch nicht geantwortet.»
«Welcher war das?»
«Der Name desjenigen, der das Gerücht in Umlauf gebracht hat.»
«Wenn ich ehrlich sein soll … es sind mehrere Namen genannt worden, und Sie werden verstehen, dass ich, solange ich keine Gewissheit habe …»
«Wir sprechen morgen früh darüber», sagte Montagnet, während er sich erhob. «Würden Sie mir bitte sagen, wo der Anwalt Teresi wohnt?»
Dieser Capitano, dachte der Bürgermeister verbittert, wird am Ende mehr Schaden anrichten als die falsche Cholera.
Doch als der Capitano bei Teresi anklopfte, war niemand zu Hause.
Nach einer dreiviertel Stunde lebhafter Diskussion mit seinem Neffen hatte der Anwalt beschlossen, zum Palazzo Lo Mascolo zu gehen, um mit dem Baron zu reden. Er wollte eine Antwort auf eine ganz bestimmte Frage: Hatte Antonietta Stefanos Namen genannt, als sie nach ihrem Liebhaber gefragt wurde, oder war das nur eine Idee von Don Fofò gewesen? Stefano, der große Lust hatte, die Kleine wiederzusehen, hatte ihn in der Kalesche begleitet.
Doch sie sollten nie an ihrem Ziel ankommen.
Um schneller ins Zentrum zu gelangen, nahmen sie statt der Straße eine Art Feldweg, der die Strecke abkürzte. An diesem Weg gab es weder Gebäude noch Äcker, und hier kam fast nie jemand vorbei. Genau an der Stelle, wo der Feldweg von einer Schotterstraße gekreuzt wurde, die direkt auf die Piazza des Städtchens führte, sah Stefano einen großen Sack, der fast die ganze Fahrbahn versperrte. Um nicht gegen den Sack zu stoßen, zog er das Pferd am Zügel.
«Der Sack bewegt sich!», rief Teresi aus.
Tatsächlich zappelte etwas im Inneren. Sie stiegen ab und beugten sich über den Sack, der mehrmals mit einem Strick verschnürt war. Dann hörten sie, freilich sehr schwach, ein Wimmern wie von Katzen.
«Da muss eine Katze drin sein», sagte Stefano.
«Eine Katze, so groß wie ein Tiger?», entgegnete der Anwalt misstrauisch.
Er schritt zur Tat. Mit einem Jagdmesser, das er aus einem Beutel geholt hatte, schnitt er den Strick durch und öffnete den Sack. Zum Vorschein kam der Kopf eines etwa zwanzigjährigen blonden Jungen, dessen Gesicht von Fausthieben und Ohrfeigen so verquollen war, dass die Augen nur noch aus zwei Schlitzen bestanden. Blut rann ihm aus der Nase und aus den Augen. Die Lippen waren so geschwollen, dass sie aussahen wie ein aufgeschnittener Granatapfel. In dem mit Blut gefüllten Mund erkannte man drei Löcher, dort waren ihm die Zähne ausgeschlagen worden. Es war klar, dass man ihm auch Tritte ins Gesicht gegeben hatte.
Teresi zog den Sack noch etwas weiter herunter. Die Schultern kamen zum Vorschein. Der Junge war kein Bauer, die Kleidung, die er trug, war zerrissen, aber der Stoff war von guter Qualität.
«Kennst du ihn?», fragte Teresi seinen Neffen.
«Ich glaube, ja.»
«Wer ist das?»
«Ich glaube, das ist der Sohn einer Cousine der Marchesa Cammarata. Er ist nicht von hier, aber er kommt oft ins Haus des Marchese. Ich hab ihn kennengelernt, als damals der Ball …»
«Schon gut, schon gut», schnitt der Anwalt ihm das Wort ab. «Hilf mir, ihn wieder in den Sack zu stecken.»
«Wie bitte? Das ist ein Verwandter der Cammarata! Wir bringen ihn zum Palazzo und erzählen, wie wir ihn gefunden haben, und …»
«… und die bedanken sich bei uns, und dann bringen sie ihn endgültig um.»
Stefano verstummte.
«Komm, hilf mir», sagte der Onkel. «Wir bringen ihn zu uns nach Haus, dann überlegen wir, was wir tun.»
«Holen wir ihn doch wenigstens aus dem Sack!»
«Nein, mein Herr. Wenn wir den Carabinieri begegnen, werden sie glauben, das sei ein Sack Kartoffeln. Warte, wir machen es anders. Ich bringe ihn nach Haus, und du holst inzwischen Dottor Palumbo.»
Diese Gelegenheit wollte der Anwalt Teresi sich nicht entgehen lassen. Der Kleine war ein Verwandter der Cammarata. Zweifellos wusste der Marchese, warum man den Jungen so furchtbar zugerichtet hatte. Der feine Signor Marchese, ha! Dieser feige Verräter, der seinen Antrag auf Mitgliedschaft im Verein erst unterstützt und ihn dann fallengelassen hatte. O nein, diese Gelegenheit durfte er nicht ungenutzt lassen.
Die ersten, die gegen sieben Uhr abends wieder im Städtchen eintrafen, waren just diejenigen, die es auch als erste verlassen hatten: die Bewohner des Vicolo Raspa, einschließlich Giseffa, die noch am selben Abend ins Haus der Familie Buttafava zurückkehrte.
«Ich habe die Wette
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