Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
Barrafranca, Cousin ersten Grades des Commendatore und sein Busenfreund, hatte dank Agusto Padalino einen grandiosen Wahlsieg in Palizzolo errungen.
«Ich selbst habe gerade mit dem Präfekten gesprochen», sagte der Bürgermeister. «Ich habe ihm gesagt, dass im Ort große Verstimmung herrscht.»
«Außerdem kann dieses Kriegsrecht nicht bis zur nächsten Cholera dauern», bemerkte Don Serafino. «Es muss sofort aufgehoben werden, allerspätestens morgen.»
Gegen sieben Uhr abends setzte der Vorstand des Vereins «Ehre & Familie», bestehend aus dem Vorsitzenden Don Liborio Spartà, Don Stapino Vassallo, Colonnello Amasio Petrosillo und Professor Malatesta, einen Punkt unter die soeben niedergeschriebene Petition an den Präfekten der Provinzhauptstadt Camporeale, in der es hieß, dass die gesamte Bevölkerung von Palizzolo über die Anschuldigungen empört sei, die Capitano Montagnet gegen drei so beliebte und ehrenwerte Personen wie Don Anselmo Buttafava, Don Raccuglia und Dottor Bellanca erhob, von denen letzterer überdies unschuldig in Haft genommen wurde. Die Bürger forderten daher:
die Zurücknahme sämtlicher Anschuldigungen gegen die Obengenannten,
die Freilassung von Dottor Bellanca,
die Aufhebung des Kriegsrechts, da dieses keine Berechtigung mehr habe.
Dem Kammerdiener des Vereins, Casimiro, wurde der Auftrag erteilt, nicht nur alle Mitglieder, sondern auch alle, die es wünschten, unterzeichnen zu lassen.
Am Abend kam Dottor Girlanno Presti aus Camporeale an, um den Amtsarzt zu vertreten. Das erste, was Presti tat, war, sich bei Capitano Montagnet vorzustellen und ihn um ein Gespräch mit Dottor Bellanca zu bitten, weil er sich bei ihm über den Gesundheitszustand der Einwohner informieren müsse. Montagnet gewährte ihm das Gespräch für den nächsten Morgen um acht Uhr.
«So, nun habe ich dir erzählt, wo wir dich gefunden haben, und dir erklärt, warum ich es für besser hielt, dich in mein Haus zu bringen statt in den Palazzo Cammarata. Bist du jetzt bereit, uns zu erzählen, was passiert ist?»
«Ja», sagte Luigino Chiarapane.
Der Junge hatte sich sehr gut erholt, durch die Umschläge war die Schwellung seiner Lippen zurückgegangen und das Fieber unter achtunddreißig gesunken, nur die drei gebrochenen Rippen schmerzten, wenn er sich bewegte.
«Ich will sie alle beide im Gefängnis sehen, den Marchese und zù Carmeniddru», murmelte Luigino, als spräche er zu sich selbst.
«Ich auch», sagte Teresi lächelnd. «Darum erzähl mir alles von Anfang an.»
«Meine Mutter ist eine Cousine der Ehefrau von Filadelfo Cammarata, und solange meine Familie in Palizzolo wohnte, nämlich die ersten fünfzehn Jahre nach meiner Geburt, waren wir fast immer zusammen. Ich bin mit Paolina aufgewachsen, der ältesten Tochter des Marchese, obwohl ich drei Jahre älter bin als sie. Und seit wir nach Salsetto umgezogen sind, komme ich mindestens zweimal in der Woche hierher, um sie zu sehen. Ich habe keine Geschwister, und Paolina ist für mich die Schwester, die mir immer gefehlt hat. Sie ist ein herzensgutes Mädchen, fromm, lieb und großzügig. Ich habe keine Ahnung, wie ihr so was passieren konnte!»
«Davon sprechen wir später», sagte Teresi.
«Neulich, als es diese Geschichte mit der Cholera gab, sagte meine Mutter, ich solle nach Palizzolo fahren, um mich zu erkundigen, wie es den Cammarata geht. Zuvor hatte sie unseren Hausdiener hingeschickt, damit er fragte, ob ich nach dem Essen bei ihnen vorbeikommen dürfe, und die Antwort war Ja. Als ich sah, dass das Tor verschlossen war und die Rollläden heruntergelassen, habe ich mir Sorgen gemacht. Das Haus sah aus, als hätte es einen Trauerfall gegeben, und ich befürchtete, jemand sei gestorben. Gnazina, die elfjährige Tochter, machte mir auf und sagte, die gesamte Dienerschaft sei weggelaufen, und Paolina und alle anderen im Haus hätten die Influenza. Sie bat mich, im Arbeitszimmer vom Marchese zu warten. Sonst herrscht in dem Haus immer ziemlich viel Radau, aber jetzt war alles still wie ein Grab. Nach einer halben Stunde kam der Marchese, schlecht gelaunt und nervöser als sonst. Er sagte, ich solle mit ihm in den Keller gehen, weil er eine Flasche holen müsse, und ich ging mit.
‹Wie geht es Paolina›?
Er antwortete mir nicht und öffnete die Kellertür. Es brannte Licht, die Petroleumlampen waren angezündet.
‹Ich muss noch was erledigen. Geh runter, ich komme sofort nach.›
Kaum war ich auf der steinernen Treppe, die sehr lang
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