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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ist, hörte ich, wie die Tür zufiel. Ich dachte an einen Windstoß. Dann stand plötzlich ’zù Carmeniddru vor mir.»
    «Kanntest du ihn?», fragte der Anwalt.
    «Ja. Er kam den Marchese oft besuchen, dann schlossen die beiden sich im Arbeitszimmer ein.»
    «Wusstest du, wer er ist?»
    «Wie sollte ich das nicht wissen? Alle im Ort kennen ihn als eine wichtige Person.»
    «Was hat er zu dir gesagt?»
    «Gesagt? Er hat nicht gesprochen.»
    «Was tat er?»
    «Beim ersten Fausthieb ins Gesicht stürzte ich zu Boden. Dann Tritte, Schläge mit einer Art Stock … Ich schrie, aber wer konnte mich dort unten im Keller schon hören? Nach etwa zehn Minuten Schlägen kam Filadelfo herein. ‹Hast dich mit meiner Tochter Paolina vergnügt, he, du Schwein? Hast sie geschwängert, du Hurenbock? Jetzt wirst du sterben.› Ich schwöre, dass mich diese Nachricht mehr schmerzte als alle Stockschläge von zù Carmineddru. Dann fielen sie zu zweit über mich her. Ich wurde ohnmächtig und bekam nichts mehr mit.»
    «Sie haben geglaubt, du seist tot», sagte Stefano.
    «Und wir werden dafür sorgen, dass man weiterhin glaubt, du seist tot», sagte Teresi.

SIEBTES KAPITEL
    Der Tag der Anzeigen
    Dottor Girlanno Presti war ein tüchtiger Arzt, doch in Camporeale war er als jemand bekannt, der sogar vor seinem eigenen Schatten erschrak.
    In seinem Haus ließ er einen Mann wohnen, der eher wie ein wandelnder Baumstamm aussah als wie ein Mensch, sein Name war Costantino, und er war groß und gewaltig, ein Anblick, so recht zum Fürchten. Dieser Mann stand im Dienst des Dottore, vor allem begleitete er ihn bei nächtlichen Patientenbesuchen, denn nie und nimmer wäre der Arzt nach Anbruch der Dunkelheit allein aus dem Haus gegangen.
    Wegen jeder Kleinigkeit geriet er in Panik, und schon bei dem Gedanken, um acht Uhr morgens zur Station der Carabinieri gehen zu müssen, wo Bellanca in einer Zelle saß, brach ihm der Angstschweiß aus. Doch groß war sein Erstaunen, als er seinen Kollegen so frisch, ausgeruht und heiter vorfand, als hätte er die Nacht im Grand Hotel verbracht. Bellanca kannte Presti, daher freute er sich, dass man ihn zu seinem Stellvertreter gemacht hatte. Montagnet hatte dem Gespräch der beiden Ärzte keine zeitliche Grenze gesetzt und ihnen ein Zimmer mit einem Tisch und zwei Stühlen zur Verfügung gestellt. Das erste, was Bellanca sagte, war:
    «Hast du dir genügend Wäsche zum Wechseln mitgenommen?»
    «Nein, warum?»
    «Weil ich glaube, dass ich nicht so schnell wieder freigelassen werde. Gestern kam der Capitano, um mir zu sagen, dass ich hier drinnen verschimmeln könnte, wenn ich nicht spreche. Und ich werde nicht sprechen. Darum …»
    «Was will er denn wissen?»
    «Er wollte wissen, woran Barone Lo Mascolo und Marchese Cammarata erkrankt waren. Ich habe gesagt, es sei Influenza, aber er glaubt mir nicht.»
    «Welche Krankheit hatten sie denn?»
    «Gar nichts hatten sie. Aber kann ich den ehrenwerten Namen zweier Familien in den Dreck ziehen?»
    Girlanno Presti erbleichte. Was hatte diese Komplikation zu bedeuten? Er wusste, dass sein Kollege der Störung der öffentlichen Ordnung angeklagt war, aber was erzählte Bellanca jetzt von der Ehre zweier Familien? Das Wort Ehre ist in Sizilien ungeheuer gefährlich, fast immer führt es zu Bluttaten.
    «Sollte ich diese Geschichte auch kennen?», fragte er in der schwachen Hoffnung, die Antwort würde Nein lauten.
    «Natürlich! Bist du etwa nicht der Stellvertreter des Amtsarztes?»
    Und Bellanca erzählte ihm alles.
    «Vier schwangere Frauen und keine davon verheiratet? Alle vier seit zwei Monaten? Wie lässt sich das erklären?» Presti war höchst erstaunt.
    «Es lässt sich eben gar nicht erklären, das macht die Situation ja so vertrackt! Und, notabene, durch diese vier Schwangerschaften steigt die jährliche Durchschnittsrate der Schwangerschaften in Palizzolo. Sie sind eine Zugabe, ein Extra. Wie eine Blüte zu ungewohnter Zeit, verstehst du? Aber du bewahrst bitte strengstes Stillschweigen über die Sache, ja?»
    Presti verzog beleidigt das Gesicht.
    «Das brauchst du mir wirklich nicht zu sagen.»
    «Gut, dann sprechen wir jetzt über die gesundheitliche Situation im Ort. Das Trachom und die Malaria sind hier …»
    Eine Stunde später war das Gespräch beendet. Sie gaben sich die Hand, und ein Carabiniere kam, um Dottor Bellanca abzuholen. Während Presti die Blätter einsammelte, auf denen er sich Notizen gemacht hatte, ging die Tür auf.
    Er hob die

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