Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
sich die Hypothese des Verliebtseins nicht ausschließen. War Rosalia womöglich schwanger?»
«Nun reden Sie doch keinen Blödsinn!», fuhr der Notar erbost auf. «Padre Filiberto war ein Heiliger, wie die Leute sagen!»
«Heiligkeit und irdische Liebe vertragen sich sehr gut!», verkündete der Colonnello.
Eine Stunde später fand die nächste Versammlung im Schloss des Herzogs Ruggero d’Altomonte statt. Mit Ausnahme von Marchese Cammarata waren alle Adeligen zugegen.
«Was ist das für eine Geschichte mit dem Pfarrer von San Cono?», fragte Barone Roccamena.
«Im Verein hieß es gerade eben, dass er sich aus Liebe zu einem seiner Pfarrkinder umgebracht hat, die offenbar von ihm schwanger war», erklärte Barone Piscopo.
Als er das Wort «schwanger» hörte, erbleichte Barone Lo Mascolo.
«Warum haben Sie uns herkommen lassen?», fragte Barone Roccamena den Marchese Spinotta.
«Weil Sie mich neulich gebeten haben, mit meinem Cousin, Duca Simone Loreto di San Loreto, zu telefonieren.»
«Haben Sie es getan?»
«Natürlich habe ich es getan.»
«Und der Duca?»
«Hat mir gesagt, er würde sich sofort darum kümmern. Und tatsächlich hat er mich vor zwei Stunden angerufen.»
Er machte eine auf Wirkung bedachte Pause. In der erwartungsvollen Stille hörte man das Stimmchen von Duca Ruggero, der sagte:
«An allem ist die Französische Revolution schuld!»
«Nun?», drängte Barone Roccamena.
«Er hat mir gesagt, dass Colonnello Chiaramonte, der Provinzkommandant der Carabinieri, Capitano Montagnet einberufen hat, um ihm dem Befehl zu erteilen, sich sofort nach Camporeale zurückzuziehen. Damit sind wir ihn endlich los», schloss der Marchese unter allgemeinen Jubelrufen.
Sie konnten nicht wissen, dass Capitano Montagnet stattdessen gerade nach Palizzolo zurückkehrte.
Gegen drei Uhr nachmittags, während der Capitano noch im Vorzimmer darauf wartete, vom Colonnello hereingerufen zu werden, war nämlich ein zweiter Anruf von Maresciallo Sciabbarrà gekommen.
«Ciaramiddaro, ich muss dringend mit Capitano Montagnet sprechen.»
«Das ist nicht möglich, er sitzt im Vorzimmer des Colonnello.»
«Kann ich mit seinem Adjutanten Sinibaldi sprechen?»
«Ich übergebe.»
«Ciao, Sciabbarrà, wie geht’s dir?»
«Signor Maggiore, im Vorzimmer vom Colonnello sitzt Capitano Montagnet. Ich muss ihm unbedingt mitteilen, dass die Lage hier in Palizzolo schon wieder schwierig geworden ist.»
«Was soll das heißen?»
«Hier hat sich ein Pfarrer umgebracht, Don Filiberto Cusa.»
«Na und?»
«Es gab Auseinandersetzungen zwischen einigen Gemeindemitgliedern von Don Filiberto und den Gläubigen aus anderen Pfarrkirchen. Diese behaupten, Don Filiberto habe eine junge Gläubige aus seiner Pfarrei verführt, und die Leute von Don Filiberto wollten nichts davon hören. Im Moment haben wir zwei Verletzte durch Schnittwaffen. Im Moment.»
«Befürchten Sie Komplikationen?»
«So sicher wie den Tod.»
«In Ordnung, Danke.»
Der Adjutant wusste, was der Kommandant Montagnet mitteilen würde, darum hielt er es für besser, statt mit Montagnet zu sprechen, den Colonello Chiaramonte direkt von dem Telefonat zu unterrichten.
Und so hörte Montagnet, als er empfangen wurde, den Colonnello sagen, zwar sei «von oben» der Befehl gekommen, ihn sofort nach Camporeale zurückzurufen, er würde ihm jedoch angesichts der neuen Situation, die wegen des Selbstmordes eines Priesters in Palizzolo entstanden sei, eine Woche Verlängerung gewähren.
Bevor Don Marcantonio Panza nach Palizzolo aufbrach, hatte er sich vom Gericht in Camporeale eine Vollmacht ausstellen lassen, vom Gerichtspräsidenten Onorio Labarbera eigenhändig verfasst und unterschrieben, die folgendermaßen lautete: «Don Marcantonio Panza, Sekretär Seiner Exzellenz Egilberto Martire, Bischof von Camporeale, ist befugt, die Kirche San Cono und die anliegenden Räume (Sakristei, Wohnung des Pfarrers usw.) zu betreten, um eine Sichtung der Gegenstände aus dem persönlichen Besitz des verstorbenen Don Filiberto Cusa vorzunehmen und dafür zu sorgen, dass diese Gegenstände den Familienangehörigen des Pfarrers überbracht werden.»
Dieses Dokument zeigte er dem Gefreiten Magnacavallo, der ihn passieren ließ. Doch knapp fünf Minuten später hörte Magnacavallo, wie aus der Sakristei nach ihm gerufen wurde.
«Gefreiter, kommen Sie bitte!»
Magnacavallo erstarrte. Hatte der Mensch etwa die Leiche in der Truhe entdeckt? Nein, das war es nicht, die Truhe sah
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