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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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erzählen? Durfte er ihnen sagen, dass sie den Toten in eine Truhe gelegt hatten? Dann kam ihm eine gute Idee.
    «Er ist nicht mehr hier.»
    «Wo ist er dann?»
    «Er ist … zur Station gebracht worden.»
    «Wohin wird er denn mit der Eisenbahn gefahren?»
    «Nicht doch, zu unserer Station, der von den Carabinieri. Aber er ist nicht zu besichtigen.»
    «Warum nicht?»
    «Was weiß ich? Befehl vom Richter aus Camporeale.»
    Die sechs Pfarrer entfernten sich ein paar Schritte und begannen, lebhaft miteinander zu diskutieren.
    Dann ging Padre Pintacuda wieder zum Angriff über.
    «Wir müssen unbedingt in die Wohnung unseres armen Bruders.»
    «Das ist nicht möglich. Ich habe den Befehl, allen zu …»
    «So können Sie uns nicht behandeln!», rief Padre Marrafà zornig.
    «Wir sind keine Diebe! Wir sind Priester!», echote Padre Scurria.
    «Und Sie, Gefreiter, kennen uns sehr gut! Sie wissen genau, wer wir sind!», brüllte Padre Raccuglia.
    Die Fenster im Haus gegenüber öffneten sich, ein paar Gesichter tauchten auf.
    Bloß nicht schon wieder so ein Durcheinander, das hatte gerade noch gefehlt.
    «Gehen Sie hinein», sagte der Gefreite.
    Der Verein hatte seit fünf Minuten zur Nachmittagssitzung geöffnet, die für drei Uhr festgelegt worden war, und schon wimmelte es im Salon von Menschen. Der Notar Giallonardo nahm die Beileidsbekundungen der Mitglieder entgegen, als wäre er ein Verwandter von Don Filiberto.
    «Wie kam er Ihnen denn so vor, als Sie zum letzten Mal mit ihm gesprochen haben?», fragte der Vorsitzende Don Liborio Spartà.
    «Nun ja, beim letzten Mal … da fing er an zu weinen.»
    «Er weinte?! Don Filiberto schien doch immer ein ausnehmend gefestigter Mann …»
    «Er war erst neununddreißig, der Ärmste!», sagte Colonnello Petrosillo.
    «Was hat das denn damit zu tun? Neununddreißig oder vierzig, hier geht es doch darum, dass er weinte!», wies ihn Don Anselmo Buttafava zurecht.
    «Signori, ich möchte klarstellen, dass es sich um einen besonderen Anlass handelte», rief der Notar dazwischen.
    «Können Sie uns sagen, worum es ging?», fragte Professor Malatesta.
    «Das ist kein Geheimnis. Da sich mein Hausmädchen Rosalia vorgestern aus dem vierten Stock des Krankenhauses von Camporeale stürzte …»
    «Ihr Hausmädchen hat sich umgebracht?», fragte Don Stapino Vassallo.
    «Das habe ich doch gerade eben gesagt!»
    «Ja, aber warum?»
    «Ich konnte es nicht herausfinden.»
    «Wollen Sie den Mann nicht endlich ausreden lassen, anstatt ihn andauernd zu unterbrechen?», rief Don Serafino Labianca.
    «… ging ich also zu Don Filiberto», hub der Notar wieder an, «und fragte ihn, ob er bereit sei, die Tote zu segnen. Er sagte Ja und fing an zu weinen.»
    «Aber die Frage bleibt dieselbe: Warum fing er an zu weinen?», fragte Don Serafino.
    «Rosalia war sein Pfarrkind.»
    «Signor Notaio, wenn jeder Pfarrer wegen jedes Pfarrkindes weint, das in seiner Gemeinde stirbt, weint er sich innerhalb eines Monats blind, glauben Sie mir.»
    «Aber er hatte Rosalia besonders gern!»
    «Ach ja?»
    «Jawohl! Er mochte sie, er schätzte sie, sagte immer wieder, dass sie ein gutes Mädchen sei, so brav, so fromm … Oft behielt er sie stundenlang bei sich in der Sakristei …»
    «In der Sakristei?», wiederholte der Vorsitzende Spartà.
    «Ja, was ist daran so außergewöhnlich? Wird der Katechismus nicht in der Sakristei unterrichtet?»
    «Ähm!», ließ sich Don Serafino vernehmen.
    «Was wollen sie mit diesem ‹Ähm› sagen?»
    «Dass zwei und zwei vier ergeben, Signor Notaio!»
    «Ich bin derselben Meinung!», schaltete sich Colonnello Petrosillo ein.
    «Von welcher Meinung sprechen Sie denn?»
    «Die Sache ist doch ganz einfach: Don Filiberto hat sich umgebracht, weil er in Rosalia verliebt war», erklärte Don Serafino ohne Umschweife.
    «Und Rosalia hat sich umgebracht, weil sie wiederum in Don Filiberto verliebt war!», stellte der Colonnello aufseufzend fest. «Eine unmögliche Liebe!»
    «Colonnello, Sie wissen ganz genau, dass es keine unmöglichen Lieben gibt», sagte Don Anselmo.
    Der Colonnello fühlte sich angegriffen.
    «Worauf wollen Sie anspielen?»
    «Ich sage nur, wenn die beiden sich wirklich so sehr liebten, hätte der Pfarrer ganz einfach sein geistliches Gewand ablegen und mit der Kleinen zusammenleben können. Es wäre nicht das erste und nicht das letzte Mal gewesen!»
    «Das Fleisch ist schwach», seufzte der Colonnello.
    «Trotzdem», meinte der Vorsitzende Spartà, «lässt

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