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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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in der Nähe über den Steinboden – Mr.   Jelliby oder der Feenbutler –, doch Bartholomew konnte niemanden sehen.
    Hettie streckte die Hände nach ihm aus, und ihre Finger gruben sich in sein Hemd. Im Wald jenseits des Portals regte sich etwas. Die Tür der Hütte hatte sich geöffnet. Das Licht war noch immer da, aber jetzt flimmerte es, während eine Gestalt davor hin und her huschte, sich in einem Moment zwischen den Bäumen versteckte, im nächsten vorwärtsstürmte. Sie kam immer näher. Hinter ihr schlichen, finster und flink, weitere Gestalten durch den Wald, während Augen neugierig im Mondlicht funkelten.
    Die Feen. Sie kamen.
    »Möchtest du deine Schwester nicht wiederhaben?«, höhnte der Homunkulus. »Ach, liebe kleine Hettie, siehst du? Dein Bruder mag dich nicht mehr. Er möchte dich nicht retten.«
    Bartholomew sah sie verzweifelt an. Nichts hätte er lieber getan. Hunderte von Meilen hatte er zurückgelegt, auf den Feenmarkt hatte er sich gewagt, tapfer war er der Polizei von Bath und der Rattenfee entgegengetreten, um sie zu finden. Und jetzt starrte Hettie ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Weißt du, wenn du sie wieder hineinstößt, sodass sie ins Alte Land zurückkehrt, mitten in den finsteren Winterwald unter den bösen, bösen Feen, die von allen Seiten unaufhaltsam näher kommen, dann wird das Portal anfangen zu schrumpfen. Wäre das nicht großartig? Wäre das nicht prima ? Es würde aus dem Gleichgewicht geraten. Es würde implodieren. Ich lüge nicht! Versuch es doch. Lass deine Schwester im Stich, und das alles nur für eine Welt, die dich nicht im Mindesten kümmert.«
    Die Worte des Homunkulus weckten Erinnerungen in Bartholomew. Urplötzlich befand er sich wieder auf der Lichtung der Grünhexe und entfernte sich mit festem Schritt von dem bunten Wagen und dem freundlichen Lichtschein, der durch die Fenster fiel. Die Welt ist mir egal, hatte er da vor sich hin gemurmelt, während er in die Nacht davongestapft war. Offenbar war er da nicht der Einzige. Den Feen war alles egal. Den Menschen war alles egal. Ihre Sorgen galten anderen Dingen – Geld und Brot und ihrem eigenen Schicksal. Bartholomew konnte sie alle sterben lassen. Er konnte Hettie aus dem Portal ziehen, und die Flügel würden über die grausame, verhasste Stadt hinwegstreichen. Sie würden alles zerstören, würden Kirchen ebenso zum Einsturz bringen wie Häuser und Regierungspaläste. Mr.   Jelliby würde zu Staub zerfallen. Und Bartholomew und Hettie würden Hand in Hand über die Ruinen davongehen. Es wäre so einfach.
    Du bist nicht anders als sie, hatte die garstige Stimme gesagt, und sie sagte es erneut, noch lauter und schroffer dieses Mal. Du bist nicht anders als die Rattenfee. Oder als Mr.   Lickerish und die Grünhexe und all die anderen Leute, von denen du geglaubt hast, du würdest sie hassen.
    Aber Bartholomew war anders. Davon war er überzeugt. Er war schwach und hässlich und nicht besonders groß, und inzwischen war ihm alles gleichgültig. Ihm war gleichgültig, ob die Feen ihn hassten oder ob die Menschen ihn fürchteten. Er war stärker als sie. Stärker als die Rattenfee, stärker als Mr.   Lickerish. Er war weit herumgekommen und hatte Großes geleistet, und das nicht für sich selbst, sondern für Hettie und Mutter und Mr.   Jelliby, der ihn mitgenommen hatte, als Bartholomew alleine auf der Gasse stand. Sie gaben ihm das Gefühl dazuzugehören. Nicht die Feen, und nicht die Menschen. Er hatte es nicht nötig, so zu sein wie sie.
    Er hob den Kopf, sodass sein Mund auf derselben Höhe war wie Hetties Ohr, schloss die Hand fest um ihre Finger und flüsterte über den Wind und das Rauschen der Flügel hinweg: »Hör nicht auf ihn. Er lügt nur. Hab keine Angst. Du musst noch einmal ganz kurz dort hinein, aber sobald das Portal so klein ist wie nur möglich, springst du wieder heraus zu mir. Du springst mit ganzer Kraft, hast du mich verstanden? Das klappt schon, Hettie, glaub mir.«
    »Barthy?« Hetties Stimme zitterte. Und dann heulte der Wind so laut, dass er sie nicht mehr hören konnte. Aber er wusste, was sie sagte. Barthy, ich will nicht da rein. Lass nicht zu, dass mich die Feen holen.
    Bartholomew versuchte, sie anzulächeln, doch seine Gesichtsmuskeln gehorchten ihm nicht. Selbst seine Tränen waren erstarrt und schmerzten ihn hinter den Augen. Er drückte Hettie an sich, und zwar ganz fest, als würde er sie nie mehr loslassen.
    »Das klappt schon, Het. Das klappt

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