Die Seltsamen (German Edition)
Jelliby betete inständig, dass er nicht nach unten schauen würde. Denn dann würde er sie sofort sehen, wie sie da unter dem Boden lagen. Sein mechanisches Auge würde das Metall und die Dunkelheit durchdringen und…
Die Fee hob die Nase und schnüffelte. Mr. Jelliby erstarrte.
»Ich rieche Regen«, sagte die Fee und sah Hettie misstrauisch an. »Regen und Morast.«
Hettie sagte nichts.
Der Feenbutler klopfte mit den Fingern gegen das Geländer. »In London hat es seit Tagen nicht mehr geregnet.«
Mehrere Sekunden lang war nur der Wind zu hören. Dann glitt ohne Vorwarnung eine gezackte Klinge aus dem Ärmel des Feenbutlers, und er stieß sie nach unten durch den Gitterrost. Ihre Spitze kam nur Zentimeter vor Bartholomews Augen zum Stillstand. Der Mischling schrie laut.
»Barthy?«, rief Hettie und drückte ihr Gesicht auf das Metall.
Mr. Jelliby rutschte von den Stangen herunter, bis er nur noch mit den Händen daran hing. Seine Beine baumelten zwanzig Meter über dem Lagerhaus. »Komm da raus! Komm raus, Bartholomew, sonst bringt er dich um!«
Die Klinge fuhr erneut herab, wieder und immer wieder, und schlitzte Bartholomew den Arm auf. Der Aufzug hatte das Dach des Lagerhauses erreicht. Die Luft wurde warm, als sie darin versanken.
»Jetzt!«, schrie Mr. Jelliby. »Lass los! Es ist nicht mehr weit!«
Bartholomew sah die Klinge auf sich zusausen – sie schimmerte wie eine Regenschliere. Dieses Mal würde sie ihn töten. Sie würde ihr Ziel treffen und sich ihm direkt ins Herz bohren. Doch in dem Moment, als die Spitze seine Haut ritzte, schlüpfte er zwischen den Stangen hindurch und fiel nach unten ins Lagerhaus.
Der Aufprall presste ihm die Luft aus der Lunge. Seine Knie gaben unter ihm nach, und er überschlug sich mehrmals, bis er vor einer Wand aus Kisten liegen blieb. Er hörte, wie der Aufzug scheppernd auf dem Boden aufsetzte. Dann das Trippeln von Hetties bloßen Füßen, die Absätze des Feenbutlers, die über Stein hallten. Als Bartholomew die Augen öffnete, rechnete er halb damit, dass die Kreatur mit erhobenem Messer über ihm stand.
Doch der Feenbutler schien jegliches Interesse an ihm verloren zu haben. Auch Mr. Jelliby, der sich in das Meer aus Kisten geschleppt hatte und dort um Atem ringend kauerte, schenkte er keine Beachtung. Mir raschen, sicheren Bewegungen zwängte er Hetties Füße in die verkohlten Schuhe und machte sich daran, die Schnürsenkel zuzubinden, wieder und wieder, bis nicht mehr die geringste Aussicht für sie bestand, sich daraus zu befreien.
Sie versuchte, die Füße zu heben, nach seinen Händen zu treten, aber die Schuhe waren auf dem Boden festgenagelt. Seine langen Finger zogen prüfend an den Knoten. Sie kratzte ihm mit den Fingernägeln über den Kopf, versuchte, die Schnürsenkel selbst zu lösen, aber die Fee schlug ihre Arme beiseite.
Bartholomew begann, auf Händen und Knien auf sie zuzukriechen. Der Butler nahm noch immer keine Notiz von ihm. Stattdessen erhob er sich und holte das Elixier der Grünhexe aus einer Manteltasche. Er setzte Hettie die Flasche an die Lippen und kippte sie nach oben. Sie prustete einmal und spuckte aus, aber er hielt ihr kleines Gesicht mit fester Hand umfasst und riss es nach hinten, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als die Flüssigkeit in großen Schlucken hinunterzuwürgen.
Als die Flasche leer war, schleuderte die Fee sie beiseite. Ohne ein weiteres Wort lief sie zum Aufzug zurück.
Mr. Jelliby sprang zwischen den Kisten hervor, wobei er einen Metallhaken wie einen Degen schwang. Die Fee verzog keine Miene. Sie wich mit einer fließenden Bewegung aus, glitt wie eine Schlange darum herum, drehte sich schnell und versetzte Mr. Jelliby einen heftigen Schlag gegen die Schläfe. Bartholomew sah Mr. Jelliby nach hinten taumeln und krabbelte auf Hettie zu. Ich muss sie zum Fenster bringen. Wir klettern raus, solange dieses Ungeheuer abgelenkt ist, und…
Er erstarrte. Auch der Feenbutler hielt in der Bewegung inne. Mr. Jelliby ließ den Haken fallen.
Aus dem Nichts war eine sanfte Brise aufgekommen, und plötzlich lag der Geruch von Schnee in der Luft. Irgendetwas geschah mit Hettie. Eine schwarze Linie begann, sich auf ihrer Haut abzuzeichnen; ihren Anfang nahm sie auf Hetties Kopf, und von dort schlängelte sie sich über ihre Schultern hinab zu ihren Armen und Beinen.
»Barthy?«, sagte sie, ihre Stimme ganz heiser vor Angst. Die blasse Haut um ihren Mund herum hatte die Farbe von
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