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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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unerträglich traurig.
    »Wir sind nach London gegangen«, sagte sie, wenn auch nicht zu Bartholomew. Eigentlich waren ihre Worte an niemand Bestimmten gerichtet. »Wir haben ihren Schmuck gegen Wein eingetauscht und getanzt, bis unsere Füße wund waren. Ich war der Meinung, dass alles ganz großartig lief, aber Melusine empfand das anders. Ach, meine wunderschöne Melusine! Sie vermisste ihre Eltern. Sie vermisste Irland und die grünen Hügel. Schließlich ist sie noch so jung.« Bartholomews Hand glitt von der Spindel. »Da wusste ich, dass sie nie wirklich mir gehören würde, solange die Täuschung anhielt. Sie liebte nicht mich. Das Ding, das sie liebte, war eine Illusion und eine Lüge, also streifte ich eines Tages meinen Zauber ab. Ich zeigte ihr, was ich war.«
    Die Rattenfee senkte den Blick und sprach mit erstickter Stimme weiter. »Und sie hasste mich. Sie hasste mich, weil ich so hässlich war. Sie floh vor mir. Rannte heulend und schreiend zur Tür, aber ich konnte sie nicht gehen lassen. Ich konnte es einfach nicht. Ich wusste, dass es sie umbringen würde. Ich wusste, dass die Ratten sich in ihr festfressen würden, dass sie nie wieder dieselbe sein würde, aber wie sonst sollte ich sie dazu bringen, dass sie bei mir blieb? Ich konnte nicht zulassen, dass sie mich verließ! « Die Rattenfee zuckte auf dem Boden hin und her, als rasten ihre zahlreichen Beine in unterschiedliche Richtungen. Dann ringelte sie sich zusammen wie eine Schnecke und verbarg ihren Kopf. »Da bin ich Mr.   Lickerish begegnet«, flüsterte sie. »Eines Nachts auf der Straße. Er erzählte mir von seinem Plan und dass er jemanden brauchte, der ihm die Mischlinge brachte. Sobald das Feenportal geöffnet war, würde alles wieder gut werden. Die Magie würde in England ihre ganze Macht zurückerlangen, und ich würde in der Lage sein, Melusine am Leben zu erhalten. Ich würde einen Zauber wirken können, der so stark und allumfassend war, dass nicht einmal die Dienstmagd mit ihrem eisernen Ring ihn durchschauen konnte. Und all das…« Sie hob eine Hand, die aus Rattenschwänzen bestand, und fuchtelte damit herum. »Und all das wäre wie ein böser Traum. Also habe ich getan, was er von mir verlangte. Alles.«
    Bartholomew schwieg. Ihm gefiel nicht, was er da gehört hatte. Er wollte Hettie finden, und er wollte Jack Box hassen. Er wollte die Rattenfee, die solches Leid verursacht hatte, für ein Ungeheuer halten. Aber eine garstige Stimme hatte sich in seinen Kopf geschlichen und sagte: Ein Ungeheuer? Aber sie ist doch wie du. Genauso hässlich, genauso selbstsüchtig. Du bist nicht anders als sie. Würdest du nicht eine Million Menschen töten, um Hettie zu retten?
    Bartholomew schloss die Augen. »Aber Melusine«, sagte er, um einen ruhigen Tonfall bemüht. »Nachdem Sie nicht mehr bei ihr sind, bleibt sie doch am Leben, oder? Bath ist so weit weg. Jetzt ist sie doch bestimmt sicher.«
    »Sicher.« Die Stimme der Fee war ein leeres, rasselndes Flüstern. »Sicher vor mir. Für immer.«
    Bartholomew starrte sie an.
    »Niemand hat ihr geholfen. Weder die Polizei noch Mr.   Lickerish, obwohl ich ihn angefleht und alles getan habe, was er von mir verlangt hat. Einen Tag hat sie noch gelebt, vielleicht zwei. Und dann ist sie gestorben, ganz allein auf dem Stuhl, in dem weißen Raum unter der Erde.«
    Mr.   Lickerish sprach schnell in die Sprechmuschel aus Messing, wobei seine Stimme vor Aufregung leicht vibrierte. »Das Elixier der Grünhexe ist endlich eingetroffen. Bring Kind Nummer elf ins Lagerhaus hinunter und verabreiche ihm den Trank. Achte darauf, dass es ihn bis auf den letzten Tropfen austrinkt. Und dann beeil dich. Die Sylphen werden nicht lange auf sich warten lassen. Du hast nur Minuten, bevor das Portal anfangen wird, die Stadt zu zerstören. Kehre so schnell wie möglich in den Mond zurück. Zaudere nicht! In der Welt von morgen brauche ich dich noch.« Er legte die Sprechmuschel beiseite und knabberte gedankenverloren an seinem seidenen Uhrenband.
    »Sathir?«, drang die Stimme des Feenbutlers aus dem Apparat. » Sathir, wollten Sie noch etwas sagen?«
    Mr.   Lickerish griff noch einmal nach der Sprechmuschel. »Ja. Ja, ich glaube, das wollte ich. Jack Box ist… instabil geworden. Er ist in diesem Moment auf dem Weg nach unten ins Lagerhaus. Sorge dafür, dass er dort bleibt.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, knallte er die Sprechmuschel auf die Gabel.
    Der Feenbutler legte auf und hielt einen Moment

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