Die Seltsamen (German Edition)
sie bekunden, wie sehr sie das alles zu schätzen wussten. Wenn sie etwas sagten, dann etwas so Sinnloses, dass Mr. Jelliby es nach zwei Sekunden wieder vergessen hatte. Ihr Gastgeber wiederum saß mit verschränkten Armen vollkommen reglos da. Er aß nichts, und er trank nichts.
Mr. Jelliby schnappte dezent nach Luft. Grüne Dämpfe kräuselten sich in seinem Hals, und seine Lunge fühlte sich an, als würde jemand Seide hineinstopfen. Am Rande seines Gesichtsfeldes legte sich ein Schleier über die Welt. Das Zimmer schien plötzlich ins Wanken zu geraten. Der Boden schlug Wellen wie ein Meer aus Holz. Undeutlich hörte er Mr. Throgmorton nach dem Gewicht des mechanischen Jagdebers von Mr. Lumbidule fragen. »Man muss mit einem besonderen Gewehr auf ihn schießen«, sagte Mr. Lumbidule. »…besteht innen aus echtem Fleisch und Blut, und wenn man von der Jagd genug hat, legt er sich auf seinen eisernen Rücken und…«
Mr. Jelliby hielt es nicht länger aus. Er wischte sich über die Stirn und sagte: »Verzeihen Sie, Mr. Lickerish, aber ich fühle mich unpässlich. Gibt es hier in der Nähe ein Wasserklosett?« Die anderen beiden Herren unterbrachen ihr Gerede lange genug, um ihn spöttisch anzuschauen. Mr. Jelliby bemerkte es kaum. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich nicht zu übergeben.
Die Mundwinkel des Herrn Justizministers zuckten. Einen Moment lang sah er Mr. Jelliby scharf an. Dann sagte er: »Natürlich gibt es hier ein Wasserklosett. Links neben der Tür finden Sie einen Glockenzug. Jemand wird Sie begleiten.«
»Oh…« Mr. Jelliby stand schwankend auf und stolperte von seinem Sessel fort. In seinem Kopf drehte sich alles. Während er das Zimmer durchquerte, meinte er, etwas umgestoßen zu haben – er hörte ein Poltern, und unter seinen Füßen knirschten Glassplitter –, aber so schwindlig, wie ihm war, konnte er unmöglich stehenbleiben.
Er taumelte aus der Bibliothek hinaus und tastete an der Wand nach einem Glockenzug, bis seine Finger eine Troddel streiften. Seine Hand schloss sich um eine dicke Samtkordel, und er zog mit aller Macht daran. Irgendwo tief im Haus bimmelte ein Glöckchen.
Er wartete und lauschte auf Schritte, auf eine sich öffnende Tür, eine Stimme. Nichts. Das Läuten verklang. Jetzt hörte er wieder den Regen, der auf das Dach trommelte.
Er zog ein zweites Mal. Erneut bimmelte es. Immer noch nichts.
Na schön. Dann würde er den Abort eben alleine suchen. Nachdem er sich nun nicht mehr in der grünen Bibliothek befand, fühlte er sich ohnehin schon besser. Allmählich bekam er wieder einen klaren Kopf, und auch sein Magen hatte sich beruhigt. Ein Spritzer kaltes Wasser vielleicht, und er wäre wieder auf dem Damm. Er tappte den Weg zurück, den er gekommen war, stieg die Wendeltreppe hinab und betrat den Korridor einen Stock tiefer. Dort probierte er sämtliche Türen, in der Hoffnung, hinter einer den Abort zu finden. Vor seinem geistigen Auge sah er den hell erleuchteten Gang und die Frau, die ihn entlangeilte. Wer sie wohl war? Eine Dienerin bestimmt nicht, nicht mit diesen teuren Kleidern. Wie eine Fee hatte sie auch nicht ausgesehen.
Mr. Jelliby erreichte das Ende des Korridors und bog in einen anderen ein. Hier war er vor zwanzig Minuten schon einmal gewesen, aber jetzt war er allein, und alles wirkte weit finsterer und abweisender. Der Gang mündete in ein großes, schmuddliges Zimmer, in dem die Möbel mit verstaubten Laken abgedeckt waren. Dem Zimmer wiederum schloss sich ein weiterer Korridor an, der in ein Zimmer voller leerer Vogelkäfige führte und dann in ein Rauchzimmer. Er konnte sich nicht erinnern, einen dieser Räume schon einmal betreten zu haben. Ihm wurde bewusst, dass er nicht mehr nach dem Abort suchte, sondern nach dem erleuchteten Korridor. Ob die Frau wohl noch dort war? Würde er jemals herausfinden, wer sie war? Er wollte gerade umkehren und nach einem anderen Weg suchen, als er von einem Zimmer in das nächste gelangte und plötzlich direkt vor dem hellerleuchteten Korridor stand.
Er hätte schwören können, dass er vorhin woanders gewesen war. Hatte links davon wirklich eine Vase mit verblühten Rosen gestanden? Und eine Anrichte mit einer schneeweißen Schale? Aber hier war er – der lange, schmale Korridor, der aussah wie einem Eisenbahnwaggon entsprungen. Schließlich würden sie ihn wohl kaum verlegt haben.
Jetzt war der Korridor leer. Die Türen auf beiden Seiten waren zu – bestimmt
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