Die Seltsamen (German Edition)
alles wieder gut.
Er hinkte die Treppe hinauf zum Dachboden. In den Morgenstunden fühlte er sich im Haus immer sicher, denn dann war der Hausflur leer, und die Staubpartikel tanzten träge im fahlen Licht vor den Fenstern. Aber er war hier nicht sicher. In den Feenslums schlief niemand länger als fünf Uhr, wenn er denn überhaupt schlief, und Bartholomew wollte gar nicht wissen, was jenseits der verrotteten Mauern alles vor sich ging. Vor der Tür der Longstockings erfüllte ein scharfer metallischer Geruch den Hausflur, und dahinter klang es, als würden Messerklingen übereinanderstreichen. Wichtel heulten und tollten in der Wohnung der Prickfingers herum. Im dritten Stock, wo die Hitze noch drückender wurde und die Luft zum Schneiden dick, war der Geruch von gekochten Rüben und modrigem Bettzeug so stark, dass Bartholomew fast erstickt wäre.
Direkt vor ihm ging eine Tür auf, und es gelang ihm nur ganz knapp, ihr auszuweichen. Eine alte Feenmatrone trat heraus und beförderte die Tür mit einem Tritt hinter sich ins Schloss.
Bartholomew schnürte sich der Hals zu. Nicht auch das noch.
Sie stand ganz dicht vor ihm. Bartholomew konnte jede Falte ihrer Schürze sehen, die blauen Kornblumen, die auf ihre Rüschenhaube gestickt waren. Einen entsetzlichen Augenblick lang hielt sie inne, hob den Kopf und lauschte. Sie musste nur den Blick senken, und schon würde sie sehen, wie er da stocksteif mitten auf dem Treppenabsatz stand. Sie würde sein schmales Gesicht sehen, das filigrane, blutige Muster auf seinen Armen.
Eins, zwei, drei…
Endlich zog sie die Nase hoch und begann, die Treppe hinunterzutrampeln. Hinter ihr schlurfte etwas über die Dielen, gefolgt von einem lauten Knall. Sie erstarrte und fuhr herum.
Aber Bartholomews Fersen waren bereits durch die Falltür zum Dachboden verschwunden.
Nachdem er in seine geheime Giebelkammer gekrochen war, zog er die Kaffeedose aus ihrem Versteck hinter den Dachsparren, öffnete sie und breitete ihren Inhalt rasch auf dem Boden aus.
Seine Mutter hatte ihm verboten, einen Hausgeist einzuladen, aber sie musste ja nichts davon erfahren. Sie hatte einfach nur Angst vor Feen, und das schon, seit der Vater ihrer Kinder, ein Sídhe, in die Nacht davongetanzt und nicht mehr zurückgekommen war. Das jetzt war jedoch etwas anderes; Bartholomew wünschte, sie würde das einsehen. Sein Vater war ein Hochelf gewesen, ein durchtriebener, selbstsüchtiger Mann, der Mutter von ihrer Theatertruppe weggelockt hatte, als sie noch jung und hübsch und lebenslustig gewesen war. Mutter hatte alles aufgegeben, um mit ihm zusammen zu sein. Und dann, als ihr hübsches Gesicht verbraucht war und die Haut an ihren Händen ganz rissig von der Lauge und von den Mühen, ihre Kinder zu ernähren, hatte er sie einfach im Stich gelassen. Seither hatte Mutter nie wieder mit einem Feenwesen gesprochen. Bartholomew erinnerte sich nur sehr vage an seinen Vater, aber er wusste, dass er Angst vor ihm gehabt hatte, vor diesen schwarzen Augen, die sich ihm stets voller Abscheu zugewandt hatten und vielleicht auch mit einem Hauch von Zweifel. Einmal hatte sein Vater in einer fremden Sprache mit ihm gesprochen, in einem fort, eine halbe Ewigkeit, und nachdem er geendet hatte und Bartholomew einfach nur dastand und ihn verständnislos anstarrte, hatte er einen Wutanfall bekommen und Mutters ganzes Geschirr gegen die Wand geworfen. Aber Hausgeister waren nicht so, redete sich Bartholomew ein. Jedenfalls nicht so abweisend und launisch. Bestimmt waren sie mehr wie Tiere, wie äußerst intelligente Vögel.
Finster begutachtete er die Gegenstände, die vor ihm lagen, und bemühte sich, die Schmerzen in seinen Armen zu ignorieren. Der Hausgeist würde sie nicht im Schlaf erwürgen. Auf gar keinen Fall. In einem von Bartholomews Büchern war die schwarze Tuschezeichnung eines flimmernden Geschöpfs abgedruckt, das kaum so groß war wie die Kerze, die neben ihm stand. Die Fee trug ein Käppi mit einer Feder daran, und aus ihrem Rücken wuchsen Schneeglöckchenblüten. Sie sah wirklich nett aus.
Bartholomew hob einen seiner Zweige auf und warf ihn dann wieder hin. Warum musste Mutter mir das verbieten? Dadurch wurde alles nur noch schlimmer. Sie irrte sich. Das würde sie nur allzu bald einsehen, nämlich dann, wenn der Hausgeist ihr alle Sorgen abnahm. Erst würde Bartholomew den Hausgeist anweisen, die ganzen roten Linien wegzuflüstern, ihm alle möglichen Dinge zu verraten und mit ihm auf dem Dachboden
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